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Gedankenspiel

Post aus dem Paradies

Für viele „Core-Gamer“ – insbesondere Kinder der 16-Bit Ära – ist Japan der Weltmeister der Spielentwicklung. Nicht nur, dass fast alle Konsolen aus dem Land der aufgehenden Sonne kommen, nein, auch die unvorstellbare Masse an Software ist ein eindeutiges Indiz dafür. Außerdem scheint oberflächlich betrachtet sowieso beinahe jedes japanische Spiel mit viel mehr Liebe als die Werke westlicher Entwickler gemacht zu sein. Welcher Nerd kann schon den wunderschönen Verpackungen japanischer Titel widerstehen?

So mancher Sammler kann nicht anders und greift getrieben vom Anblick des bunten Covers und trotz jahrzehntelanger Erfahrung mit seinem Hobby einfach blind zu einem Titel von dem er noch nie etwas gehört hat. Dass er dessen Namen noch nicht mal lesen kann, weil er, wie mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit auch der Rest des Spieles, in einer ihm unverständlichen Sprache geschrieben ist, stört ihn dabei wenig. Die süßen Manga-Mädels sowie die tollen Renderbilder auf der Rückseite sind einfach zu verlockend und überhaupt, kann ein Spiel aus DEM Spieleland schlechthin denn wirklich schlecht sein?

In diesem Moment ist es sowieso schon zu spät und die Frage stellt sich nicht mehr. Das Spiel ist gekauft und schon bald wird man wieder ein Meisterwerk asiatischer Programmierkunst erleben dürfen, da ist man sich sicher. Wenn man so bei Segagagadomain stöbert fragt man sich ja sowieso ständig, warum es dieser oder jener Titel nicht zu uns geschafft hat. Die (Videospiel-) Welt braucht einfach mehr Japanogames – vor allem in der heutigen Zeit -, da sind sich die Nerds einig.

Die Vorfreude auf das exotische Spielvergnügen mit dem Titel, den sicher keiner der Freunde je gezockt hat, macht das Warten zur Qual. Doch irgendwann ist auch diese Arbeitswoche geschafft und pünktlich zum Wochenende klingelt der Postmann zweimal. Schon von weitem leuchtet der Sticker vom Importshop unseres Vertrauens und das unscheinbare Päckchen wird ihm förmlich aus den Händen gerissen. Kaum ist die Packung aufgefetzt und der wertvolle – naja, meistens eher günstige – Inhalt entnommen, glaubt man Japan förmlich riechen zu können. Man hat zwar keine Ahnung was da eigentlich steht und kann sich trotz der vielen bunten Bilder kaum ausmalen, worum es überhaupt geht, aber mit so einer schönen Anleitung kann das Spiel ja nur super sein.

Nun ist es endlich soweit und die Disc wandert in die Konsole. Vor dem Einschalten wird noch einen Moment innegehalten, um den Erfindern von Bootdisc, Multinormumbau und Co. zu gedenken. Nach dieser ruhigen Minute wird umso härter auf den Power-Button gehauen und der Bootvorgang geht los. Von den ersten Schriftzeichen völlig unbeeindruckt – Veteranen wissen, dass es nur wieder um die MemoryCard gehen kann – drücken wir uns zum Intro. Mit guter Laune, niedlichem Gebrabbel und hoffnungslos übertriebenen Proportionen huschen die ersten Charaktere über den Bildschirm. Noch immer haben wir nichts über das erfahren, was uns erwartet aber so eine kleine Animesequenz macht schon mal einen guten Eindruck.

Da wären wir also, der Startbildschirm. „Ganz unten ist bestimmt das Optionsmenü, das ist immer so“, denken wir uns. Stereo und Mono können wir sogar lesen, auch die Vibration lässt sich blind einstellen und den Rest brauchen wir bestimmt nicht. Also schnell wieder diese nervige Speicherung bestätigen und dann endlich auf den ersten Eintrag im Startmenü. Perfekt, das war Neues Spiel.

Die epische Story rollt in breiten Lettern über den Bildschirm und eine düstere japanische Stimme scheint das Ende der Welt zu verkünden. Was auch immer er gesagt haben mag, eines steht fest, diese Welt braucht unsere Hilfe. Bis in die Haarspitzen motiviert erstellen wir unseren Helden. Zum Glück gibt es hier auch westliche Zeichen, so kann man auch immer gleich erkennen, dass es um uns geht. Dem Spielspaß scheint also nichts mehr im Wege zu stehen und jetzt wo auch diese Hürde genommen ist, kann endlich unser tapferer Recke das Licht der digitalen Welt erblicken.

Die Japaner haben es ja mit Traditionen und davon gibt es auch in Videospielen mehr als einem lieb ist. So verwundert es wohl niemanden, dass wir scheinbar krank in einem Bett aufwachen und eine nette Dame sich um die Wunden unseres Helden kümmert. Kommt einem alles bekannt vor also finden wir uns sicher schnell zurecht, sollte man jedenfalls denken. Doch als wir dann die ersten Schritte in dieser pixeligen Welt machen und die ersten Personen ansprechen, wird uns etwas ganz deutlich vor Augen geführt:

Wir haben nicht den Hauch einer Ahnung, was wir hier eigentlich machen sollen !

Den ersten Schock verdaut, kämpfen wir uns durch Textwüsten voller komischer Zeichen, bei denen eines kaum vom anderen zu unterscheiden ist. Unermüdlich klicken wir uns durch die unverständlichen Erzählungen unserer künstlichen Mitmenschen und versuchen irgendwie eine Idee von unserer Aufgabe zu bekommen. Doch es nützt nichts, wir sind nur noch verwirrter als vorher. Was würde man in der Realität tun? Natürlich, Frustshopping ! Das riesige Schild über der Tür macht wohl jedem Menschen auf der Welt klar, dass es hier was zu kaufen gibt. Die beiden Einträge können ja nur für Kaufen und Verkaufen stehen und die Navigation ist wie in den gefühlten einhundert anderen RPG’s, die wir zuvor gespielt haben. Zu schade, dass man die Attribute nicht versteht aber Zahlen sehen überall gleich aus und mehr ist immer besser, das ist auch bei den Japanern so. Dank bunter Pfeile, leuchtenden Zahlen und nicht zuletzt einem hübschen Icon, ist die Waffe unserer Wahl schnell gefunden.
In freudiger Erwartung drücken wir also den Button, um dem freundlichen Händler die Kohle über den Tisch zu schieben, doch statt einem großen Zweihänder erhalten wir nur eine schnöde Textbox und einen fiesen Soundeffekt. Ein Blick auf den Bildschirmrand verrät, dass wir pleite sind. Die nächste Enttäuschung aber wir können uns ja immer noch mit dem Kampfsystem vergnügen und dabei Geld verdienen.

Also nichts wie raus aus dem langweiligen Dorf und rein in den Kampf. Nach kurzem umherlaufen auf der Weltkarte werden wir wie gewohnt – und von vielen gehasst – in die ersten Zufallskämpfe verwickelt. Das System ist natürlich rundenbasiert und wird von aufdringlich theatralischem Gedudel untermalt, man hat auch nichts anderes erwartet, schließlich ist es ein Japano-RPG und da muss das so sein. Man kann also wieder fröhlich den ersten Eintrag im Menü wählen, den Gegner anvisieren und draufknüppeln lassen. Alles wie immer, nur halt ohne lesbare Texte. Nach dem ersten Treffer sucht man zwar vergebens nach einer Potion aber etwas Ähnliches findet man nach einigem Probieren sicher auch noch in diesem Labyrinth aus Menüs und Untermenüs.

Nach einiger Zeit macht sich Ernüchterung breit und man fragt sich allmählich, warum man eigentlich zu diesem Titel gegriffen hat. Man glaubt, dass sicher irgendwas Gutes in dem Spiel steckt aber wird sich langsam bewusst, dass es einem ohne Sprachkenntnisse für immer verborgen bleiben wird. Außerdem hat es schon seinen Grund, dass manche Titel nie zu uns kommen und der ist nicht immer eine zu aufwändige Lokalisation. Hat man dies erstmal eingesehen, wandert die Disc ziemlich schnell wieder in die hübsche Verpackung, mit der alles anfing und dient fortan als Staubfänger.

15 Antworten auf „Post aus dem Paradies“

Das kommt mir erschreckend bekannt vor…
Ich erinnere mich noch an das Ende der Dreamcast-Ära. Da war dann nebenan diese eine Videothek, welche tatsächlich Japan-Importe hatte, natürlich alle zum kleinen Preis. VIrtua Fighter 3tb ist nicht verkehrt gewesen, Knöpfchen drücken und auf’s Maul funktioniert in allen Sprachen wohl gleich. Da war dann aber noch dieses andere Spiel.
Blutroter Schriftzug, düstere Bilder – sieht nach Horror aus. Gekauft, nach Hause, Dreamcast an, DC-X rein, Spiel rein, neu booten, auf geht’s. Intro läuft, eindeutig irgendwas mit Horror. Vorfreude. Titelbild, ganz viel Blut. Gleiches Prinzip, oben ist neues Spiel, also starten.
Kleines Filmchen, gefolgt von Textboxen. Gut… nehmen wir mal das erste. Gesagt getan. Kleine Szene – Textboxen. Wieder irgendwas genommen, wieder eine Szene – Textboxen.
Machen wir’s kurz: Nach knapp 10 Minuten war mir dann endgültig klar – das ist ein Textadventure. Auf japanisch. Ich habe keinen blassen Schimmer, was oder warum, wer mit wem, wo und wieso überhalt das alles. Ich hab mir irgendwann angefangen zu notieren welche Antwort mich weiter bringt und welche zu einem Game Over führt, aber nach 1-2 Stunden war die Luft raus.
…das hab ich natürlich nicht dem netten Herrn auf dem Flohmarkt erzählt, der mir diese „Japano-Perle, Sammerstück, sowas bekommt man hier ja fast gar nicht“ dann letzten Endes für knapp 30€ wieder abgekauft hat… 😉

Sehr schöner Artikel, der das Nerdtum wohlig umschreibt. Ich war in den 90ern dank dem Beginn des Anime-Booms nach Akira und dem SNES auch auf dem besten Wege ein kleiner Otaku zu werden. Zum Glück war es damals schon schwierig genug, an US-Importe ranzukommen. Dennoch habe ich Ende der 90er ein paar japanische und koreanische Spiele importiert. Und auch wenn ich die Graphic Novels und RPGs alleine wegen der Grafiken toll fand, habe ich immer nach ein paar Stunden frustriert aufgegeben. Strategiespiele gingen etwas besser aber dennoch war es schade, dass man nicht mitbekam, worum es eigentlich ging. Und bei den Actionspielen merkte man schnell, dass doch viel Massenware dabei war. Stolz bin ich allerdings noch auf meine Magna Carta Sammler Edition. Der erste Teil der Rollenspiel-Serie kam nie in den Westen (der zweite kam dann auf PS2 und der dritte auf XBox 360 auch hier) und was da in der wirklich riesigen Schachtel an Beigaben beilag, lohnte alleine den Kauf.

Ich gehe auch nicht so sehr mit dem Anfang des Artikels konform, dass Japan DAS Land der Spieleentwicklung ist. Inzwischen bin ich abgebrühter und anspruchsvoller und fast alles was nicht hier erscheint ist auch nicht so interessant. Von ein paar Ausnahmen einmal abgesehen. Obwohl mich gerade zumindest eine englische Fassung von besseren Graphic Novels oder Textadventuren durchaus interessieren täten, doch die kommen wenn dann meist für Nintendo (3)DS und sind mir dann dafür deswegen auch wieder zu teuer. Das sind oft nette Titel zum mal Entspannen zwischendurch aber nichts für abendfüllende Spielesessions.

Für viele alte Klassiker, die früher nicht den Weg über den großen Teich geschafft haben gibt es zum Glück oftmals Fanübersetzungen, man denke nur an die Frühwerke von Hideo Kojima wie Snatcher und Policenauts. Oder das dritte Shadowrun-Spiel, ich glaube das war für Mega CD. Diese Titel legal zu kriegen und für die Übersetzungen aufzubereiten ist allerdings ein Krampf. Am einfachsten ist leider ein Emulator, um sie wenigstens mal zu sehen.

Meine private Sammelleidenschaft hat allerdings in den vergangenen Jahren einen ziemlichen Dämpfer erlitten. Ich weiß nicht mehr, wohin mit den ganzen Spielen und Konsolen! 99 Prozent aller Spiele vor ca. 2005 habe ich derzeit bei meiner Mutter im Keller in großen Plastikbeuteln eingelagert. Kein schöner Ort für eine Sammlung. Aber aus Platzmangel sehe ich keine andere Möglichkeit. Ich würde mir wirklich ein schönes Spielzimmer wünschen. Von daher macht es für mich derzeit leider, leider auch keinen Sinn großartig zu sammeln. Ich kaufe deswegen auch nicht mehr gezielt suchend, sondern nur, wenn zufällig eine günstige Gelegenheit vorhanden ist. Was mich auch etwas schmerzt, da mir klar ist, dass die Preise für ältere Sachen auch nicht mehr günstiger werden. Und wenn ich das irgendwann später haben möchte, ich wahrscheinlich viel mehr für hinblättern muss. Aber was soll man machen? Ich habe einfach keinen Platz. Und jetzt schlage ich wieder den Bogen zum Artikel: Dabei hätten gerade die vielen hübschen JRPGs einen Ehrenplatz in der Vitrine verdient.

Also die Aussage Japan sei DAS Spieleland schlechthin war auch mit einem kleinen Augenzwinkern verbunden. Früher traf das sicher zum Teil zu (insebesondere was die Konsolen Spiel anbelangt) aber heute hat deren Industrie ja doch viel von der Kreativität verloren und hat international kaum noch was zu melden. Ich selbst spiele inzwischen auch meist nur noch westliche Titel.

Das Platzproblem kenne ich auch nur zu gut und daher kann ich meine Sammlung momentan auch nicht gebührend präsentieren, aber das ändert sich ja evtl. irgendwann mal. Wobei ich eher nicht damit rechne, da ich für meine Freundin auch ein Paar Kompromisse eingehen muss und auch möchte ^^ Danke fürs Lob und den interessanten Kommentar 🙂

Ich war noch nie so der Fan von Spielen, die ich nicht verstanden habe. Ich habe z.B. bis heute Seven Mansions auf der DC nicht angerührt, weil ich keine Lust habe, mich nur auf gut Glück oder mit einer Seitenlangen Übersetzung aus dem Netz durch das Spiel zu kämpfen. Entweder das Spiel kommt in einer mir verständlichen Sprache daher oder es wird mit Verachtung gestraft.

Okay, das ist ein völlig legitimer Grund xD Also Seven Mansions hab ich ja auch und das ist imo sogar eines der Japanogames, die sich auch ohne Sprachkenntnisse noch halbwegs spielen lassen. Habs aber auch bisher nur kurz angespielt.

Ich hab mit Spielen auf Japanisch keine Erfahrung (außer ein paar Demos aus dem JPSN). Trotzdem sehr interessante Erfahrungen, die du da gemacht hast. Englische Spiele würde ich mir mittlerweile sogar zutrauen, doch Japanisch wär echt nur was für Railshooter oder sowas 😀 Heutzutage kommt ja fast alles brauchbare in den Westen. So ein paar ganz schräge Spiele wie „Even in a Game, Listen to Me, Girls. I Am Your Father!“ würden mich allerdings schon mal reizen. Ich wäre jedenfalls niemals auf die Idee gekommen, mir ein japanisches Spiel zu kaufen ohne einen blassen Schimmer von der Sprache zu haben 😀 Meinen Respekt!

Erinnert mich irgendwie an die Geschichte mit Sakura Taisen 4 … Das hatte ich mir seinerzeit eigentlich auch nur gekauft, weil mir die Charakterdesigns gefielen und weil ich irgendwie zu der Ansicht gelangt war, es handele sich dabei um ein Strategie- oder Actiongame … Naja, zumindest hab ich so gelernt, was sich hinter dem Begriff „Visual Novel“ verbirgt … ^^;

Hat mich aber weder von Wiederholungstaten abgehalten, noch davon, zum Fan von Visual Novels im Allgemeinen und von Sakura Taisen im Speziellen zu werden. 😉

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