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Indie Review / Test

Indie-Tipp: Natural Selection 2

Entwickler / Publisher: Unknown Worlds | Plattform: PC
Genre: Online | Action | Strategie | Shooter
Preis: Steam 22,99 € | Release: Oktober 2012 | Website

Am 31. Oktober 2002 erschien Version 1.0 von Natural Selection. Die Mod für das erste Half-Life verwandelte den Shooter in einen einzigartigen Mix aus Strategie und Action und zeigte auf eindrucksvolle Weise, zu was die Modding-Szene fähig ist. In den folgenden Jahren bildete sich eine treue Fangemeinde und man feilte weiter daran, bis man schließlich im März 2007 mit 3.2 die letzte Version veröffentlichte. Das war das Ende von Natural Selection doch in der Zwischenzeit war Unknown Worlds Entertainment zu einem vollwertigen Indie-Studio geworden und die Arbeiten an einem kommerziellen Nachfolger hatten begonnen.

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An Kickstarter war damals noch nicht zu denken und dementsprechend stand die Entwicklung immer wieder auf Messers Schneide. Doch dank unbändiger Leidenschaft, dem unerschütterlichen Glauben an ein herausragendes Spielkonzept und ihren treuen Fans – viele unterstützten die Entwicklung, indem sie schon Jahre vor dem Release vorbestellten und andere entwickelten sogar Teile des Spiels selbst – haben sie es letztendlich geschafft. Auf den Tag genau 10 Jahre nach dem Release von NS 1.0 veröffentlichte man also am 31. Oktober 2012 endlich Natural Selection 2 und das Ergebnis ist ebenso Spannend und Vielschichtig wie die bewegte Vorgeschichte.

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Auf den ersten flüchtigen Blick könnte man es für einen gewöhnlichen SciFi-Shooter halten, doch das ist nur eine der vielen Facetten von Natural Selection 2, denn es ist ein Hybrid aus Strategiespiel, Taktik-Shooter und First-Person-Action, dessen Elemente exakt aufeinander abgestimmt sind. Als Basis dient ein düsteres Zukunftsszenario, in dem zwei Parteien ums Überleben kämpfen. Die Kontrahenten könnten dabei kaum unterschiedlicher sein und sind ganz bewusst völlig asymmetrisch entworfen worden. Auf der einen Seite kämpfen die klassischen Marines, die sich auf Technologie und Feuerkraft verlassen und auf der anderen Seite lauern die Kharaa, eine außerirdische Rasse, die zwar durchaus intelligent ist, aber am ehesten mit der Insekten- und Tierwelt vergleichbar ist.

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Die wenigen Gemeinsamkeiten der beiden Rivalen sind die Einteilung in Commander und Soldaten sowie das Streben nach Ressourcen. Auf jeder Seite gibt es einen Commander, der entweder in einer Command Station (Marines) oder in einem Hive (Kharaa) Platz nimmt. Von dort lenkt er aus der Vogelperspektive die Geschicke seines Teams und hat somit entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Schlacht.

Die Commander verwalten die Ressourcen des Teams, platzieren Gebäude und erforschen neue Technologien. Die Ressourcen gewinnen sie mit Extraktoren, welche an den entsprechenden Quellen aufgebaut werden. Die Commander können Gebäude jedoch nicht einfach so im Level platzieren, sondern sind stets auf die Hilfe ihrer Truppen angewiesen. Ein Marine Commander setzt an den gewünschten Punkten ein Gebäude und muss dann darauf warten, dass ein Soldat das Gebäude konstruiert. Damit das Gebäude dann auch einsatzbereit ist, muss außerdem in dem jeweiligen Areal die Stromversorgung von den Marines repariert worden sein. Bei den Kharaa hingegen pflanzt der Commander Zysten am Boden der Levels, die Stück für Stück die Umgebung in ein Alienbiotop verwandeln. Ist eine Quelle überwuchert, dann kann er dort auch einen Extraktor platzieren. Dafür benötigt der Kharra Commander zwar nicht direkt die Hilfe seiner Truppen, doch die Zysten sind äußerst leicht zu zerstören und sobald ein Bereich nicht mehr über die Zysten mit einem Hive verknüpft ist, drohen die Aliengebilde abzusterben.

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Neben den Extraktoren kann ein Commander natürlich noch eine Vielzahl weiterer Gebäude und Objekte bauen, mit denen er beispielsweise Areale verteidigen, feindliche Stellungen attackieren oder seine Truppen unterstützen kann. Bei den Marines sind vor allem die Armory – sorgt für Munitionsnachschub und Heilung – und die Phase Gates – sorgen für eine schnelle Verbindung zwischen den Arealen – essentiell für die Kriegsführung. Die Kharaa haben für die Heilung der Einheiten und Gebäude wiederum die Crags und zur schnellen Regeneration von Energie gibt es dort die Shifts. Auch bei den Gebäuden merkt man das asymmetrische Design und so gibt es beispielsweise kein Gegenstück zum Phase Gate der Marines, da die Khaara von Natur aus schneller sind und das mit der passenden Mutation sogar noch gesteigert werden kann.

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Diese Mutationen sind ein weiteres Element, um das sich ein Commander kümmern muss. Mit den entsprechenden Gebäuden und genug Ressourcen kann er nämlich neue Fähigkeiten freischalten oder bestehende Eigenschaften noch verbessern. Neben Klassen-spezifischen Fähigkeiten können die Kharaa auch noch insgesamt 6 verschiedene Mutationen erforschen, die für jede Spezies nutzbar sind. Damit können sich die Aliens dann zum Beispiel unsichtbar machen oder beschleunigen ihre Regenerationsfähigkeiten. Bei den Marines sind diese Upgrades naturgemäß eine technologische Angelegenheit. So erforscht man hier vor allem effektivere Waffen und erhöht die Panzerung der Truppen. Mit den nötigen Ressourcen erweitert man die Ausrüstung auch um komplett neue Waffen wie Shotguns oder Flammenwerfer und steigert die Mobilität der Truppen mit Jetpacks.

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Im Gegensatz zur verstärkten Panzerung und dem erhöhten Schaden gibt es diese zusätzlichen Spielzeuge jedoch nicht für jeden. In den Genuss solcher Ausrüstung kommt ein Marine nur dann, wenn er über genügend eigene Ressourcen verfügt. Unabhängig von den Teamressourcen, die durch den Commander verwaltet werden, erhält nämlich jeder Spieler noch persönliche Ressourcen, abhängig davon, wie viele Extraktoren sich im Besitz seines Teams befinden. Im Schnitt bekommt ihr so ungefähr 1-3 Ressourcen pro Spielminute. Während der Schweißbrenner – damit repariert ihr Gebäude – gerade mal 5 Ressourcen kostet, braucht ihr für eine Shotgun schon 20 davon.

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Ihr solltet euch also gut überlegen, ob ihr sparsam seid und somit womöglich angreifbarer und nutzloser oder schon früh investiert und womöglich nicht genug Ressourcen habt, wenn später die wirklich großen Kaliber verfügbar werden. Ganz ähnliche Überlegungen gibt es natürlich auch auf Seiten der Kharaa, denn die Mutation in eine andere, komplexere Spezies kostet ebenfalls persönliche Ressourcen. Ihr seht also, dass nicht nur der Commander strategisch denken sollte, sondern auch jeder einzelne Spieler ständig Entscheidungen zu treffen hat, die am Ende über Sieg oder Niederlage entscheiden könnten.

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Eine große Rolle bei der Entscheidung einer Partie spielen oft die Onos – eine monströse Spezies, die an außerirdische Nashörner erinnert – der Kharaa und deren Gegenstück, die Exosuits – gewaltige Mechs mit 1-2 großen Gatling Guns – der Marines. Für 75 persönliche Ressourcen könnt ihr damit die Rolle eines Tanks übernehmen. Enormer Schaden und starke Panzerung machen sie für einen einzelnen Spieler unbezwingbar, doch gegen eine Gruppe können auch diese behäbigen Kolosse schnell zu Boden gehen. Wenn ihr also das erste Mal eure mühsam ersparten Ressourcen für diesen Sprung an die Spitze der Nahrungskette verpulvert habt und kurz darauf das Zeitliche segnet, dann wird euch klar, dass selbst ein solcher Tank auf sein Team angewiesen ist. Wenn ihr damit etwas bewirken wollt, dann braucht ihr Kameraden, die euch immer wieder reparieren bzw. heilen, wenn ihr einen Onos spielt.

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Was die Marines mit ihren Schweißbrennern machen, das schafft der Gorge bei den Kharra auch ohne Werkzeug. Er ist quasi der Sanitäter der Alien-Rasse und kann mit seinem Atem Mitspieler heilen, Strukturen reparieren und sogar den Bau selbiger beschleunigen. Dann gibt es noch den Lerk, der wie ein Raubvogel durch die Gänge und Hallen fliegt und bevorzugt aus den dunkelsten Ecken, weit über den Köpfen nichtsahnender Marines, seine tödlichen Pfeile verschießt oder gleich im Sturzflug ein Areal mit giftigen Dämpfen überzieht. Die nächste Stufe der Evolution ist der Fade, mit dem ihr euch blitzschnell den Marines nähert, um nur Augenblicke später wieder wie ein Geist zu verschwinden.

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Die Spitze der Kharaa Rasse bildet zweifellos der gigantische Onos, aber die meiste Zeit verbringt ihr ganz am Ende der Nahrungskette, und zwar in Gestalt eines Skulks, der Standard Rasse der Kharaa. Diese kleinen Vierbeiner sind zwar mit wenigen Schüssen erledigt, aber sie sind überaus flink, ideal für Rudeltaktiken und haben einen entscheidenden Vorteil gegenüber jedem Marine: sie können perfekt klettern. Ob an einer Wand oder kopfüber an der Decke, es gibt keine Stelle, an der kein Skulk auf euch lauern könnte. Darum sichern sich erfahrene Marines auch immer Gegenseitig ab und rücken nur im Notfall alleine vor. Insbesondere die Skulks sind es dann auch, die immer wieder für schaurig schöne Momente sorgen und den Flair der legendären Alien Filme versprühen.

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Die eigens für das Spiel geschriebene Spark Engine ist zwar ziemlich hardwarehungrig, aber die Entwickler optimieren und verschönern sie unaufhörlich. Mit ihrer atmosphärischen Beleuchtung – insbesondere, wenn die Aliens mal wieder das Licht ausgeknippst haben – ,dem umwerfenden Infestation-Feature – Bereiche werden dynamisch von einer organischen Schicht überwuchert – und dem erstklassigen Design der Karten verstärkt die Optik dieses intensive Aliens-Gefühl sogar noch und man sieht über die Performance-Problemchen gern hinweg. Der großartige – aber leider viel zu zaghaft eingesetzte – Soundtrack und die stimmigen Soundeffekte machen die intensive Stimmung eines SciFi-Streifens perfekt.

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Doch Natural Selection 2 ist weit mehr als ein Online-Shooter mit Alien Flair und das allein zeigt schon, was für ein Ausnahme-Titel es ist. Der Einstieg ist hart und ihr werdet lange brauchen, bis ihr das Spiel und all seine vielen Feinheiten entdeckt und auch verstanden habt – nach rund 55h betrachte ich mich noch immer eher als Anfänger – ,doch es lohnt sich wirklich. Am Ende werdet ihr mit einer komplexen, einzigartigen und – gute Mitspieler vorausgesetzt – unheimlich spannenden Mehrspieler-Erfahrung belohnt, die ihr so wohl in keinem anderen Spiel erleben könnt.

Abschließend noch ein riesengroßes Dankeschön an Sascha von PhinPhins, der so unfassbar selbstlos war und mir ohne jede Gegenleistung seinen Zweitkey überlassen hat.

10 Antworten auf „Indie-Tipp: Natural Selection 2“

Das klingt ja doch interessanter als ich vermutet hatte (Vorurteile, Vorurteile…), aber auch kniffliger als befürchtet, was die lange Eingewöhnungszeit betrifft. Die Kombi aus Strategiespiel und Shooter ist schon sehr attraktiv!

Verglichen mit anderen Titeln braucht es definitiv mehr Zeit, aber es ist schneller verstanden als DayZ und seine Eigenheiten 😉 Außerdem muss man ja nicht gleich alle Facetten des Spiels verstehen, um damit Spaß zu haben. Man kann sich ja auch einfach erst mal auf eine Sache (Marine oder Kharaa oder Commander) konzentrieren. Man lernt schon viel, wenn man einfach nur in der Nähe der erfahreneren Spieler bleibt. Ein guter Commander sagt in der Regel auch, was gerade zu tun ist und spricht dich sogar persönlich an. Es ist auch nicht nur Strategie (Commander) und Shooter (Marines) sondern auch Action aus der Ego-Sicht (Kharaa). Wer also mit Shootern nicht so viel anfangen kann, der hat hier womöglich trotzdem Spaß.

Das bezieht sich vor allem darauf, dass andere Engines eine ähnliche Grafikqualität wohl auch mit schwächerer Hardware abliefern können. Die Spark Engine ist also derzeit noch nicht so effizient, wie man sich das wünschen würde. Man optimiert aber fleißig und somit sollte sich das in der Zukunft auch etwas bessern. Mit einem 3 GHz Dual/Quadcore, 4 GB Ram und einer GPU auf Niveau einer GTX 460 (1GB) sollte man keine Probleme haben. Darunter läuft es auch (die minimalen Anforderungen liegen offiziell bei einer 8600), aber man muss halt die Optionen immer weiter zurückfahren.

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