Hover-Bikes und Cyber-Pflanzen
Point & Click-Adventures mit Cyberpunk-Setting sind mittlerweile fast zu einem eigenen kleinen Sub-Genre geworden. Schon 2015 habe ich hier mit Technobabylon einen herausragenden Vertreter präsentiert und wer das mochte, für den dürfte auch das jüngst erschienene The Sundew einen Blick wert sein. Das Adventure ist das erste Spiel der französischen Solo-Entwicklerin Agnès Vuillaume und darin entführt sie uns nach Shibukawa, der japanischen Hauptstadt im Jahr 2054.
Als Spieler*in schlüpfen wir in die Rolle von Anna Isobe, die zu einer ominösen Spezialeinheit der Polizei gehört und auch sonst eine etwas ungewöhnliche Frau ist. Ihr Körper wurde mit allerlei Hightech-Implantaten modifiziert, was offenbar auch in der futuristischen Welt von The Sundew noch eine eher experimentelle Technologie ist. Sie ist zwar ein Cyborg, aber mit einem weiblichen Robocop hat sie wenig gemeinsam. Die Erweiterungen beschränken sich im Wesentlichen auf einen Chip, der ihr Gehirn direkt mit dem Datennetz verbindet. Darüber tätigt sie dann beispielsweise Anrufe, ordert ein Taxi oder behält Ereignisse und Aufgaben im Auge. Klingt ziemlich unspektakulär und tatsächlich wird dieser Cyborg-Aspekt auch leider erst gegen Ende so richtig interessant.
Bis dahin könnten die meisten Ereignisse im Spiel im Grunde auch von einer ganz „normalen“ Heldin ohne Hightech-Gedöns gemeistert werden. Meistens sammelt man eben ganz klassisch völlig gewöhnliche Gegenstände ein und kombiniert sie an der richtigen Stelle. So ist Anna beispielsweise in einem Raum gefangen und muss einen Brandbeschleuniger mixen, um Pflanzen abzufackeln, die einen alternativen Ausweg versperren. Das würde so auch in zig anderen Settings funktionieren und warum ich die Büsche nicht einfach mit dem Messer bearbeiten oder gar mit den Händen herausreißen konnte, leuchtet mir noch immer nicht ganz ein. Zur Ehrenrettung sei aber gesagt, dass man solche Dinge ja auch in fast jedem anderen Adventure findet. Überhaupt ist das Puzzle-Design eher bodenständig und die Lösungen gaben mir nicht wirklich das Gefühl, besonders clever zu sein, aber auf der anderen Seite gab es dafür auch kaum nervige oder gar frustrierende Stolpersteine.
All das deckt sich leider auch gut mit der Story, oder besser gesagt mit dem grundsätzlichen Handlungsbogen, der ebenfalls ein wenig unrund ist. In der ersten Hälfte erlebt man mit Anna einen ziemlich ruhigen Arbeitstag. Man schaut sich etwas auf dem Revier um, trifft Kollegen und geht anschließend zu einem Treffen mit einem unbekannten Informanten. Kurz danach überschlagen sich die Ereignisse und die Handlung macht einen großen Sprung. Plötzlich steht Anna im Zentrum einer großen Verschwörung und man hat tausend Fragen, die zum Teil auch nach dem Abspann gar nicht oder nur ungenügend beantwortet sind. Das Spiel nimmt sich für meinen Geschmack viel zu wenig Zeit, um auf diese Wendung der Story hinzuarbeiten und seine Spielwelt zu etablieren, was sich auch darin widerspiegelt, dass es doch recht wenige Locations gibt und man gefühlt kaum etwas von der Welt wirklich sieht. Ich wurde darum nie so ganz das Gefühl los, dass The Sundew eigentlich viel größer geplant war und so einige Szenen aus dem Script gestrichen werden mussten, weil einfach das Budget und die Zeit gefehlt haben.
Doch auch wenn alles etwas gehetzt wirkt, fand ich die Geschichte und vor allem die Umgebungen trotzdem gut und vielleicht kann man es auch als Kompliment sehen, dass ich nur zu gern noch viel mehr über Anna und Shibukawa erfahren hätte. Außerdem trösteten mich auch die liebevoll gemachte Retro-Optik und die sehr gelungene Atmosphäre über so manche Schwäche hinweg. Mit dem eingangs erwähnten Technobabylon kann es sicher nicht mithalten, aber es ist ein solides Debüt und ich hoffe sehr, dass Agnès Vuillaume auf ihren Erfahrungen aus The Sundew aufbauen kann und in zwei oder drei Jahren ein weiteres Adventure nachlegt.
Plattform: PC, Switch
Release: 14. Oktober 2021
Entwickler: 2054 (Agnès Vuillaume)
Publisher: 2054
Genre: Point & Click Adventure, Cyberpunk, Retro
Preis: ab 12,49 €
Website | Steam | itch.io (DRM-free)