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Indie Review / Test

Meisterdiebe auf der Jagd nach Telltales Erbe – Thief of Thieves: Season One

Es ist kaum zwei Monate her, da erschütterte die Nachricht von Telltales Niedergang die Spielergemeinde. Das Studio erfand mit seiner Interpretation der The Walking Dead-Comics quasi ein eigenes Sub-Genre der Adventures. Ihr Konzept von „Story over Gameplay“ wurde oft kritisiert und zum Ende hin litt auch spürbar die Qualität etwas, aber ihre Fangemeinde war stets voller Herzblut für ihre Charaktere. Und viele dieser Fans fragen sich nun, wie sie fortan die Lücke in ihrem Herzen füllen sollen.

Die meisten von ihnen werden sich jetzt wohl umso mehr an Dontnods Life is Strange-Serie klammern, dabei sind die Franzosen gar nicht das einzige Studio, das auf die eine oder andere Art der Telltale-Formel folgt. Auch das kleine Indie-Studio Rival Games aus Finnland setzt auf episodische Spiele, bei denen die Geschichte an erster Stelle steht. Die Parallelen hören da aber noch nicht auf. Mit Thief of Thieves haben auch sie sich jetzt an eine Comic-Lizenz aus der Feder des Walking Dead-Schöpfers Robert Kirkman gewagt.

Im Zentrum des Spiels steht die ebenso schlagfertige wie attraktive Celia, die sich als Diebin durchs Leben schlägt. Nach vielen Jahren als Kleinkriminelle erkannte der legendäre Meisterdieb Redmond ihr Potential und nahm sie unter seine Fittiche. Seither hat sie viel gelernt und ihr Förderer sieht nun die Zeit für ihre Feuertaufe gekommen. Ein alter Freund von Remond plant einen großen Coup in Italien und Celia soll dort nun beweisen, dass sie bei den ganz Großen mitspielen kann.


Plattform: PC, Xbox One
Release: 16. Juli 2018
Entwickler: Rival Games
Publisher: Rival Games
Genre: Adventure, Stealth
Meine Spielzeit: 6-7h
Preis: 16,79 €
Humble Store | Steam | Website
Thief of Thieves besteht im Grunde aus zwei Spielen, zwischen denen ihr immer wieder wechselt. Im Unterschlupf der Bande geht es vornehmlich darum, die Geschichte voranzutreiben und den Charakteren ein Gesicht zu geben. Ihr schlendert unter anderem durch die etwas in die Jahre gekommene Villa eures Anführers, lernt die neuen Kollegen in kleinen Gesprächen besser kennen, trainiert in verschiedenen Mini-Spielen (Hacken, Tresore öffnen etc.) für den Ernstfall und schmiedet Pläne. Euer Einfluss auf Letztere beschränkt sich allerdings zumeist auf Nebensächlichkeiten wie die Entscheidung, wer euch begleiten soll.

Das zweite Gesicht von Thief of Thieves ist im Wesentlichen ein Schleichspiel. Mit Spielen wie Splinter Cell oder Dishonored lässt es sich trotzdem kaum vergleichen. Der offensichtlichste Unterschied ist zweifellos die mal mehr mal weniger feste Kameraperspektive, die das Geschehen aus größerer Entfernung zeigt. Vielleicht noch wichtiger ist allerdings der Verzicht auf Gewalt. Celia und ihre Gaunerbande sind zwar Kriminelle, aber natürlich haben sie das Herz am rechten Fleck und darum ist das Niederschlagen von Wachen oder gar der Einsatz von Waffen in der Regel keine Option. Stattdessen sollen die menschlichen Hindernisse auf dem Weg zur Beute entweder umgangen oder ausgetrickst werden. Also sucht ihr schleichend nach alternativen Wegen ans Ziel, schraubt an Sicherheitssystemen herum oder lasst Kollegen per Handzeichen für Ablenkung sorgen. Auch das sogenannte Social Engineering, bei dem ihr Scheinidentitäten nutzt und NPCs mit kleinen Lügen manipuliert, gehört zu eurem Repertoire. Und wie so oft hat die Wahl eurer Vorgehensweise an manchen Stellen sogar einen kleinen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte.

Meistens macht das zwar durchaus Spaß, die reinen Spielmechaniken sind jedoch definitiv keine große Stärke des Spiels. Gerade der Aspekt des Schleichens wirkt oft etwas unausgegoren. Es gibt zu wenige Optionen, um ungesehen von A nach B zu kommen, die KI offenbart so manche Schwäche, ein paar Bugs sind auch noch drin und man sollte kein Problem damit haben, eine Mission erst im dritten oder vierten Anlauf zu schaffen.

Die visuelle Umsetzung des Comic-Themas ist dagegen überaus gelungen. Obwohl Cel-Shading längst keine außergewöhnliche Grafik-Technik mehr ist, wirkt der Look trotzdem noch frisch und absolut passend. Das Niveau schwankt zwar etwas, aber einige Szenen wirken fast so als hätte man sie direkt aus einer der Comic-Seiten gerissen. Die Entwickler haben offenbar ein Gespür dafür, wie sie ihre Spielwelt wirkungsvoll in Szene setzen können. So nutzen sie immer wieder interessante Kameraperspektiven, um die Locations ins rechte Licht zu rücken und die Charaktere fügen sich perfekt ein. Spielmechanisch sind die Umgebungen zwar eher simpel, aber dafür sind sie meist ziemlich imposant anzuschauen und viele Szenen sind geradezu vollgestopft mit virtuellen Statisten, was sie auffallend belebt wirken lässt. Das Schlendern durch die luxuriösen Villen, den Unterschlupf am Hafen mit der kolossalen Fensterfront oder den Wolkenkratzer mit der ringförmigen Architektur macht schon allein wegen der Optik Spaß.

Die Geschichte hebt sich im Kern wenig von bekannten Hollywood-Heist-Plots ab, ist aber von Anfang bis Ende interessant erzählt, was nicht zuletzt an den größtenteils hervorragenden Sprechern liegt. Überdies sorgen ein paar kleinere Wendungen dafür, dass es nicht zu vorhersehbar wird. Von der Emotionalität eines The Walking Dead ist die Handlung jedoch weit entfernt, was angesichts des Themas auch zu erwarten war und nur bedingt als Schwäche ausgelegt werden kann.

Schon mit The Detail offenbarten Rival Games ein Talent für das Erzählen von Geschichten. Mit Thief of Thieves Season One zeigen sie dies abermals und legen in Sachen Präsentation noch ordentlich nach. Dass sie nun auch ernstzunehmende Spielmechaniken in ihre Erzählung einbetten, ist ein willkommener Schritt auf dem Weg zu ihrem ersten Hit. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sie aber gerade die Mechaniken noch deutlich verfeinern. Ob sie dafür auch ein Talent haben, müssen die Finnen zwar erst noch beweisen, aber spielen werde ich die zweite Staffel auf jeden Fall.

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