Kaum zu glauben, aber ohne die dazugehörige PR-Mail hätte ich Quantum Witch vermutlich ignoriert. Die Screenshots und die Beschreibung im Steam Store holten mich nicht wirklich ab, doch die Geschichte hinter dem Spiel tat es. Für Solo-Entwicklerin NikkiJay diente das Projekt auch der Verarbeitung einer schwierigen Vergangenheit. Sie wuchs in einer Sekte auf, wurde später von ihrer Familie verstoßen, weil sie lesbisch ist und war an einem Punkt sogar obdachlos. Mit einem derart ungewöhnlichen Leben als Ausgangspunkt ist Quantum Witch natürlich kein ganz gewöhnliches Spiel geworden.
*Dieser Beitrag wurde für die Betrachtung an einem Monitor und eine Auflösung von 1280*720 (oder höher, Mobile: quer/Landscape-Modus) optimiert.
Don’t judge a book…
Auf Screenshots sieht es wie ein simples Pixel-Jump & Run aus, aber eigentlich ist es eine ganz andere Art Spiel. So anders, dass in den Steam-Reviews immer wieder das Kunstwort „Plotformer“ auftaucht. Was lustig klingt, aber es irgendwie doch nicht ganz trifft. Die Story, also der Plot, steht zwar eindeutig über allem, aber Hüpfpassagen, wie man sie von einem Plattformer erwartet, gibt es eigentlich gar nicht. Es ist eher ein Walking and Talking Simulator. Man läuft viel herum und spricht mit vielen Charakteren. Viele davon auf eine meist amüsante Art schrullig, manche liebenswert und ein paar verschlagen oder offen bösartig.

Häufig kann man in diesen Gesprächen dann zwischen verschiedenen Fragen bzw. Antworten auswählen und damit nicht nur die Unterhaltung etwas lenken, sondern vor allem den Verlauf der Handlung etwas beeinflussen. Was auch schon den ganzen Kern des Spiels ausmacht. Zwar kann man in ein paar wenigen Momenten auch mal Gewalt anwenden oder ein zuvor aufgelesenes Item verwenden, aber im Grunde ist es eine Visual Novel oder eines dieser Choose your own Adventure-Bücher in der Verkleidung eines Pixel-Platformers. Dementsprechend ist es auch darauf ausgelegt, dass man es wieder und wieder spielt (oder zumindest strategisch clever Spielstände anlegt), um nach und nach die verschiedenen Handlungsstränge zu entdecken.
Die super Lo-Fi-Optik ist zweckmäßig, um es mal nett zu formulieren. Ohne Frage, stecken da auch Arbeit und Herz drin, die immer mal in kleinen Details und Animationen aufblitzen, aber es gibt einfach extrem viele Pixel-Art-Games, die visuell in einer ganz anderen Liga spielen, selbst wenn man größere Indie-Hits mal ausklammert.
Welt(en)reise
Quantum Witch spielt man also offensichtlich in erster Linie für die Story. Die will ich natürlich nicht spoilern, daher fasse ich sie nur grob zusammen. Hauptfigur Ren lebt mit ihrer Frau Tyra in einer vorindustriell anmutenden und idyllisch inszenierten Fantasy-Welt namens Hus. Sie verschläft mal wieder und muss anschließend ihre Schafe einsammeln, die mal wieder ausgebüxt sind. Kurz nachdem die Umgebung erkundet und alle Schafe eingesammelt sind, verschwindet Tyra. Ren muss daraufhin mit der Hilfe des örtlichen Wissenschaftlers andere Dimensionen besuchen, um dort nicht nur ihre Frau zu suchen, sondern auch eine Art Riss zwischen den Welten zu reparieren. Auf der anderen Seite erwartet sie u.a. ein vermeintliches Paradies, eine freundliche, aber streng gläubige Bevölkerung und eine selbstsüchtige Göttin.




Mit der eingangs erwähnten Vorgeschichte hatte ich natürlich gewisse Hoffnungen was die Handlung anbelangt und wollte das Spiel wirklich lieben. Nach vier (oder fünf?) Durchgängen und verschiedenen Pfaden muss ich mir jedoch leider eingestehen, dass ich aus vielerlei Gründen so meine Probleme mit der Story habe. Welche das sind, lässt sich ohne größere Spoiler zwar nicht so leicht erklären, aber ich versuche es dennoch. Das offensichtlichste ist wohl, dass die Spielwelt (bzw. Welten) einfach wie ein winziger Ausschnitt wirkt. Alles besteht nur aus einer handvoll Bildschirmen und vielleicht einem dutzend Figuren. Ich hatte oft das Gefühl, dass man wirklich nur das zu sehen bekommt, was unbedingt nötig ist, damit die Handlung halbwegs funktioniert. Es existiert kaum „fluff“, kaum ein Drumherum, das der Welt Tiefe gibt und mich wirklich darin abtauchen lässt. Noch bevor man irgendwen richtig kennenlernt, geht es plötzlich um großes Drama. Um das Ende der Welt und um philosophische Fragen. Dabei wird mir manches davon viel zu direkt auf die Nase gebunden und anderes wiederum viel zu verkopft und um die Ecke erzählt. Dementsprechend waren mir die Optionen auch oft entweder zu banal oder das genaue Gegenteil, nämlich kaum nachvollziehbar. So fühlte sich das Suchen nach verschiedenen Pfaden durch die Handlung für mich leider am Ende mehr wie Fleißarbeit und weniger wie von Neugier getriebenes Vergnügen an. Was besonders deswegen schade ist, weil die Dialoge zuweilen durchaus charmant und witzig geschrieben sind und gerade in Verbindung mit der tollen Musik auch ein paar recht stimmungsvolle oder gar emotionale Momente entstehen.

Ich weiß nicht, ob Quantum Witch ein gutes Spiel ist. Auf jeden Fall ist es ein eigenwilliges Spiel und ein echtes Autoren-Werk, das in erster Linie durch die Lebensgeschichte seiner Erschafferin entstanden ist. Viel mehr Indie geht also kaum. Ich bin sicher, dass manche Menschen dieses Spiel lieben werden und darin etwas Besonderes erkennen, aber ich gehöre leider nicht dazu.

Das Spiel ist zwar im Wesentlichen ein Solo-Projekt, aber beim Story-Design hatte NikkiJay etwas Hilfe vom BAFTA-nominierten Autor Paul Rose und der bekannten Games-Journalistin Stephanie Sterling: „Paul Rose played a pivotal role early in development, helping to shape the game’s tone and direction. Later, Stephanie Sterling joined the team to write one of the game’s key end-game locations.“
*Für dieses Review hat mir die Entwicklerin freundlicher Weise einen Review-Key zur Verfügung gestellt.