Wie für viele andere auch, waren meine ersten Fahrten durch GTAs Liberty City auf der Ur-Playstation absolut faszinierend. Auf dem Bildschirm tat sich eine komplette, lebendige Stadt auf und ich durfte sie nicht nur frei erkunden, sondern auch jede Menge Blödsinn anstellen. Mit Teil 3 und dem dazugehörigen Wechsel zur 3rd-Person-Perspektive kam dann der ganz große Durchbruch und den Rest kennt ihr ja. Mich persönlich hat die Reihe von da an verloren und ich habe mich immer gefragt, warum sich nicht mehr Entwickler an der Kombination aus Top-Down-Perspektive und Großstadt-Setting versucht haben.
*Dieser Beitrag wurde für die Betrachtung an einem Monitor und eine Auflösung von 1280*720 (oder höher, Mobile: quer/Landscape-Modus) optimiert.
Das Team von Fallen Tree Games – gegründet von Lewis Boudle und Joe Moulding, die zuvor bei Free Radical waren – sah es wohl ähnlich und brachte schon 2019 American Fugitive heraus. Darin spielt man einen flüchtigen Häftling, der seinen Namen reinwaschen will und dabei, genau wie in GTA, für jede Menge Chaos sorgt. Mit The Precinct bringen sie nun einen Nachfolger im Geiste, der die Prämisse quasi auf den Kopf stellt. Statt auf jede erdenkliche Weise das Gesetz zu brechen, schlüpft man diesmal in die Rolle eines Polizisten und sagt den großen sowie (sehr) kleinen Kriminellen den Kampf an.

Crime and the City
Inspiriert von klassischen Polizeifilmen und Serien der 80er hat man das Spiel auch gleich in eben jener Zeit angesiedelt. Schauplatz ist die fiktive Großstadt Averno, die von drei großen Gangs in Angst und Schrecken versetzt wird. Als Rookie und Sohn des ermordeten Polizeichefs kommt man frisch von der Polizeischule und lernt an der Seite des Bald-Pensionärs Kelly das ABC der Verbrechensbekämpfung. Man macht also zunächst simplen Streifendienst und verteilt Knöllchen an Falschparker und Umweltsünder oder bittet Raser zur Kasse. Wenige Schichten später wird man per Funk schon zu Schlägereien und Raubüberfällen gerufen oder überrascht Einbrecher auf frischer Tat. Womit man es während einer Schicht genau zu tun bekommt, ist im Wesentlichen dem Zufall überlassen, denn im Kern funktioniert The Precinct als Sandbox. Man kann zwar bei der Vorgesetzten aus einer kleinen Auswahl von Diensten wählen, die uns ein Aufgabengebiet – beispielsweise Streife zu Fuß, Unterstützung via Helikopter oder Verkehrskontrollen im Auto – sowie den Stadtbezirk vorgeben, aber man bewegt sich letztlich frei durch die Stadt und das Spiel generiert dann spontan Ereignisse.
Auch wie aufreibend so ein Einsatz wird, weiß man vorher nie. Manche Verdächtige reißen sofort die Arme in die Luft, wenn sie einen Officer sehen, manche gehen auf uns los und viele nehmen einfach Reißaus. Die Verfolgung der Flüchtigen zu Fuß oder im Fahrzeug ist auch das, womit man wohl die meiste Zeit verbringt. Verdächtige rennen teils mehrere Blocks weit, klettern über Zäune und verstecken sich gerne mal in Müllcontainern.
Zum Glück ist der Held ganz gut in Form, so dass ihm auch auf längerer Strecke nicht die Puste ausgeht. Vorausgesetzt, man hat gutes Timing, denn nach einigen Metern erscheint beim Rennen ein kleiner Reaktionstest, der beim Bestehen einen Teil der Ausdauer regeneriert. Auch auf den Straßenverkehr muss man achten, damit man nicht mitten im Sprint von einem Auto erfasst wird. Alternativ kann man selbstverständlich auch in den Streifenwagen hüpfen und die Verfolgung aufnehmen, aber das hat seine eigenen Tücken. Zum einen verliert man u.U. wertvolle Zeit, wenn man zum Auto zurückläuft und zum anderen sollte man natürlich etwas Vorsicht walten lassen, wenn man durch eine Fußgängerpassage voller Zivilisten brettert. Ob zu Fuß oder im Auto, je länger man Leute erfolgreich verfolgt, desto mehr Verfolgungspunkte sammelt man, mit denen man dann u.a. Verstärkung anfordern oder eine Straßensperre erbitten kann.




Paragrafenreiter
So oder so, oberstes Gebot für die Averno Police ist ein der Situation angemessenes Verhalten. Dabei unterscheidet man in erster Linie zwischen tödlicher und nicht-tödlicher Gewalt. Letztere darf man nur anwenden, wenn auch die Kriminellen das Feuer eröffnen. Es ist trotz der Perspektive auch nicht so als würde sich das Spiel bei Schusswechseln in einen rasanten Twin-Stick-Shooter verwandeln. Im Arsenal finden sich zwar allerhand Waffen, aber der Rambo-Modus geht selten gut aus und so hockt man für gewöhnlich in seiner Deckung und wartet geduldig auf den richtigen Moment, um via semi-automatischer Zielerfassung ein paar Treffer zu setzen. Das ist in Ordnung, aber sicher kein Highlight des Spiels. Der Fokus liegt ohnehin darauf, die Leute in die Zelle statt in die Leichenhalle zu bringen. Dafür kann man auf Schlagstock oder Taser zurückgreifen, aber in den meisten Fällen lassen sich die Leute mit einem Tackling oder etwas Gerangel zum Aufgeben „überreden“. Spätestens dann beginnt der bürokratische Teil der Polizeiarbeit. Man kontrolliert also u.a. den Ausweis, sucht am Körper und gegebenenfalls im Kofferraum nach Waffen oder Schmuggelware und notiert anschließend die vorliegenden Straftaten. Wer darauf keine Lust hat, der überlässt das einfach dem Kollegen Kelly. Es lohnt sich aber, die Arbeit selbst zu machen, denn das gibt am Ende mehr Erfahrungspunkte. Die erhöhen den Rang, was wiederum neue Fahrzeuge und Ausrüstung freischaltet sowie Skillpunkte abwirft. Besagte Punkte darf man dann in neue Fähigkeiten und Verbesserungen stecken. So erhöht man u.a. die tragbare Munition und die Ausdauer oder sorgt dafür, dass sich geplatzte Reifen auf magische Weise selbst reparieren.
Obwohl es weder wirklich anspruchsvoll noch allzu abwechslungsreich ist, macht diese glorifizierte Version von Räuber und Gendarm grundsätzlich Spaß. Allerlei zerstörbare Umgebung, sowie Ragdoll-Effekte und eine „verwirrte“ KI sorgen immer wieder für Chaos und so manch absurde Szene.
Da räumt schon mal ein Kollege mit dem Auto Zivilisten ab oder dreht ein paar Extrarunden, ehe er aussteigt. An der nächsten Ecke rast ein Verbrecher auf der Flucht in die Fensterfront eines Supermarktes, Flüchtige fallen ins Hafenbecken oder der Typ, den ihr gerade kontrollieren wolltet, wird plötzlich Opfer eines Autounfalls. In diesen unvorhersehbaren Chaos-Momenten ist es zweifellos sehr unterhaltsam. Ich kann es zwar nicht genau begründen, aber selbst wenn alles „normal“ läuft, hat der grundlegende Gameplay-Loop irgendwie etwas Befriedigendes. Das ändert aber nichts daran, dass ich am Ende doch etwas darüber enttäuscht war, wie wenig das Spiel abseits dieser Kernmechanik zu bieten hat.
Immer im Dienst
Die Story rund um die drei Gangs und den mysteriösen Mord am Vater der Hauptfigur passt letztlich auf einen Bierdeckel. Die Charaktere sind, bis auf den Partner Kelly, allesamt leblose Pappfiguren, mit denen man im ganzen Spiel nur eine handvoll Sätze wechselt. Auch die Stadt selbst wirkt zwar mit den vielen Passanten und dem teils dichten Verkehr sowie den endlosen Verbrechen stets geschäftig und irgendwie lebendig, aber hinter der neon-beleuchteten Fassade wartet die große Leere. Es gibt keine Gespräche zu führen, keine interessanten Orte zu entdecken und auch nichts zu ermitteln. Im Grunde macht man Dienst nach Vorschrift, nur unterbrochen durch die gelegentliche „Story-Mission“, in der man mal für 10 Minuten dem Script folgt, einige Leute über den Haufen ballert und einen der blassen Unterweltbosse festnimmt. Es gibt genau einen leidlich spannenden Strang aus Nebenmissionen, in dem man fast so etwas wie Ermittlungsarbeit macht, um einem Killer das Handwerk zu legen. Zusätzlich gibt es zwar noch die optionalen Straßenrennen und Fahrprüfungen, die mir so gut gefallen haben, dass ich sie allesamt auf Gold abgeschlossen habe, aber die tragen nun mal nichts zum World-Building oder der Story bei. Dass sich 95 % von The Precinct wortwörtlich auf den Straßen der Stadt abspielen und man ansonsten höchstens mal das Innere einer Tiefgarage oder einer Lagerhalle betritt, lässt einen leider auch nicht gerade tiefer in der Welt versinken.

Auf der technischen Seite gibt es eigentlich wenig zu kritisieren. Die PC-Performance* war bei mir okay und die Stadt ist nicht nur gut mit Autos sowie Passanten bevölkert, sondern vor allem bei Nacht auch stellenweise wirklich ganz hübsch. Auf jeden Fall fängt man den klischeehaften Neon-Noir-Vibe einer Stadt in einem 80er Cop-Flick gut ein. Zugleich kann ich aber nicht verschweigen, dass vieles, insbesondere die 2D-Artworks der Figuren, auf mich einen etwas generischen Eindruck gemacht hat. Was leider auch für den Synthie-Soundtrack gilt, der zwar durchaus ein paar nette Tracks zu bieten hat, aber mir doch etwas zu sehr „by the numbers“ klingt. Wobei man das vielleicht anders empfindet, wenn man sonst nur selten modernen Synthwave hört.
*Einige Leute sind allerdings wenig begeistert, dass es auf Konsolen nur mit 30 FPS läuft.
The Precinct ist vor allem dann am besten, wenn die Spiellogik mal wieder ein Eigenleben entwickelt und die Jagd nach Verbrechern in purem Chaos mündet. In diesen Momenten ist es ganz unverhohlen Gamey und ein zwar simpler, aber großer Spaß. Letztlich sind es die Momente, in denen es versucht, mir vorzugaukeln, es sei mehr als das, welche dafür sorgen, dass bei mir am Ende eher das Gefühl einer verpassten Chance zurückbleibt.

Fauxpas
Kurz vor Ende des Spiels bekommt man eine Akte in die Hände, in der ein paar Grafiken offensichtlich mit KI generiert wurden. Das haben andere Spieler und auch ich u.a. im Discord angesprochen. Ein Community-Manager des Publishers wiegelte zunächst ab und versicherte uns, dass keine genAI verwendet wurde. Wenig später meldete sich dann ein Entwickler und beteuerte, dass es sich dabei um eine Platzhalter-Grafik handelte, die im nächsten Update entfernt wurde. Fehler können passieren und offiziell ist im finalen Produkt kein KI generierter Content vorhanden. Es ist euch überlassen, was ihr mit dieser Info macht, aber ich wollte es nicht verschweigen. Meine grundsätzliche Verachtung für genAI dürfte manchen Lesenden ja bereits bekannt sein und Projekte, die auf besagte Technologie bauen, werden von mir ignoriert.
*Für dieses Review hat mir der Publisher Kwalee freundlicher Weise einen Review-Key zur Verfügung gestellt.
3 Antworten auf „The Precinct – GTA Cop Edition“
Mal ehrlich, musstest Du den Fauxpas so breittreten? Menschen machen nun mal Fehler und man sollte da doch Nachsicht üben. Ich weiß Du siehst in KI den wahrhaftig Teufel und der muss ausgetrieben werden. Ich halte sie nicht per se für schlecht, sondern nur wie sie genutzt wird. Wenn ein Unternehmen darauf zurückgreift, um Überstunden zu vermeiden und seine Mitarbeiter zu unterstützen, dann ist dagegen doch nichts einzuwenden.
Es ist nicht so als hätte ich mit diesem Punkt nicht etwas gehadert. Zum einen fand ich die Erklärungsversuche aber nicht 100 % überzeugend und zum anderen wirken viele der 2D-Grafiken im Spiel zumindest auf den ersten Blick etwas fishy. Das haben auch andere Nutzer so empfunden und in deren Discord Beispiele gepostet. Wie auch in der Infobox geschrieben, will ich damit nicht behaupten, dass im Spiel noch KI-Art drin ist oder welche für die Entwicklung genutzt wurde. Es ist absolut möglich, dass der Stil eben einfach nur super generisch ist.
Ich mag das hier alles nur als Hobby machen, aber für mich fühlte es sich unehrlich an, das nicht doch zu erwähnen. Und zwar unabhängig davon, wie ich persönlich zum Thema genAI stehe.
Der Kommentarbereich hier ist wohl nicht der optimale Weg, um das Thema angemessen zu diskutieren, aber ja, ich bin sehr kritisch und finde es inakzeptabel, wenn man aus Profitgier und/oder Bequemlichkeit andere Menschen ausbeutet, indem man sich ungefragt ihrer Kunst & Arbeit (sei es nun Grafik, Stimme, Texte oder was auch immer) bedient. Von Problemen im Hinblick auf Umwelt, Desinformation usw. mal ganz abgesehen.
Da widerspreche ich Dir nicht. Der Missbrauch ist inakzeptabel, aber daran trägt nicht die KI Schuld, sondern die Menschen dahinter. Und die müsste man viel härter zur Rechenschaft ziehen.
Bei uns im Betrieb wird auch KI verwendet, die viele Arbeitsschritte erleichtert. Sie wird aber nur betriebsintern genutzt und hat keinen Zugang zum Internet. Es werden also keine Daten genutzt, die dem Unternehmen nicht gehören. Sie ersetzt auch keinen Arbeitnehmer, sondern unterstützt diese nur.
Da passiert nichts illegales oder böses. Aber zurück zum eigentlichen Thema.
Ich finde The Precinct nicht als generisch. Es ist halt sparsam und vielleicht auch an manchen Stellen etwas detailarm. Mich stört das wenig. Da ärgere ich mich schon eher über das Chaos bei manchen Schichten und bei anderen passiert gar nichts. Aber ist das in realen Alltag nicht auch so? Ich mag The Precinct und kann im seine ungeschliffenen Kanten gut nachsehen.