Es ist jetzt etwa dreieinhalb Jahre her, dass ich euch voller Begeisterung von Natural Selection 2 berichtet habe. Seit meinem ersten Kontakt mit dem Spiel, das mir damals der Kollege Phinphin großzügig geschenkt hatte, habe ich mehr als 700 Spielstunden investiert, womit es ziemlich sicher das meistgespielte Game meiner gesamten Zockerkarriere sein dürfte. Eine erstaunliche Zahl, wenn man bedenkt, dass schon sowohl meine Steam-Bibliothek als auch meine Regale randvoll sind und ich somit also mehr als genügend Alternativen zur Verfügung hätte.
Doch es sind nicht etwa Ambitionen im eSport oder ein endloser Strom an Mods, die mich auch nach Jahren noch regelmäßig in den futuristischen Krieg zwischen Khaara und Marines ziehen lassen. Es sind vor allem zwei Dinge: Zum einen ist es einfach durch die Mischung aus Echtzeit-Strategie und Ego-Action ein sehr komplexes Spiel, dessen Feinheiten und taktische Varianten man selbst nach hunderten von Stunden noch nicht vollends erschlossen hat. Zum anderen erzeugt es – die richtigen Teams vorausgesetzt – mit seinen großartigen Sci-Fi-Umgebungen und dem Fokus auf Teamwork eine enorme Spannung, der ich mich auch nach so langer Zeit nicht entziehen kann.
Wann immer ich meine mühsam angesparten Ressourcen investiere, um mich in eine der höheren Lebensformen zu verwandeln, steigt mein Puls. Wenn ich dann zum Beispiel als Lerk durch die Reihen der Marines fliege, im Sturzflug einzelne Opfer herauspicke und Sekunden später mit einer handvoll Lebenspunkten in einem Lüftungsschacht wieder verschwinde, dann schlägt mir das Herz bis zum Hals. Natürlich gibt es auch immer wieder frustrierende Momente, wo man sich teure Ausrüstung oder eine neue Lebensform kauft und kurz darauf stirbt, ohne sie wirklich nutzen zu können, aber gerade diese Tatsache, dass ihr bei einem Fehler auch schnell wieder zum einfachen Fußvolk degradiert werden könnt, sorgt ja erst für das Adrenalin. Diese komische Mischung aus Überlegenheit und Verletzlichkeit habe ich in ähnlicher Form bisher nur in einem anderen Spiel erlebt und das war DayZ, wo euch eine gute Waffe zwar einen Vorteil verschafft, aber zugleich auch dafür sorgt, dass ihr den virtuellen Tod nur noch mehr fürchtet. Von der Rolle als Commander, die mich noch immer ins Schwitzen bringt, ganz zu schweigen.
Und dann sind da noch diese Comeback-Momente, die ich in dieser Intensität auch noch in keinem anderen Spiel gesehen habe. Partien können durchaus mal eine ganze Stunde oder länger dauern und in dieser Zeit kann sich das Blatt für die beiden Teams gleich mehrfach wenden. Schon so manches mal stand mein Team dann unter Belagerung und glaubte, die Partie schon verloren zu haben, nur um dann doch noch durch einen Überraschungsangriff das Ruder herumzureißen, nachdem sich ein Mitspieler irgendwie hinter die feindlichen Linien geschlichen und heimlich einen Tunnel bzw. ein Portal platziert hatte.
Doch während das Spiel für mich nach all der Zeit nichts von seinem Reiz verloren hat, haben sich andere Spieler längst abgewendet. Waren es in den ersten beiden Jahren noch tausende von Spielern, die weltweit die Server füllten, ist jetzt nur noch ein treuer Kern von mehreren hundert Spielern übrig. Trotz eines erfolgreichen Humble Bundles, einer permanenten Preissenkung auf 9,99 € und zahlreichen Sales ist es einfach nie richtig gelungen, neue Spieler dauerhaft für die Scifi-Schlachten zu gewinnen. Aufgegeben haben die Entwickler aber nie, obwohl sie mit Subnautica bereits Ende 2014 ein neues und recht erfolgreiches Early Access-Projekt veröffentlicht haben. Über die Jahre veröffentlichten sie immer wieder kostenlose Updates, die das Spiel weiter verfeinerten und mit neuen Features für neue Impulse sorgten.
So kam schon wenige Monate nach dem Launch das Gorgeous Update, das u.a. mit dem Gorge-Tunnel und dem Railgun-Exo neue Möglichkeiten eröffnete und vor allem die Balance verbesserte. Ein halbes Jahr später folgte dann das Reinforced Update, das nicht nur neue Inhalte wie etwa weibliche Marines und eine neue Karte brachte, sondern auch den Start einer Crowdfunding-Kampagne markierte. Dabei kam mehr als eine Viertelmillion Dollar (auch ich spendete 15 $) zusammen, die wiederum komplett in die weitere Entwicklung des Spiels und die Organisation der NS2 World Championhips investiert wurden.
Zu dieser Zeit wurde auch bekannt, dass die Entwickler der Mod NS2: Combat ein Studio gegründet haben und ihr Werk als eigenständiges Spiel auf Steam veröffentlichen wollten. Das sorgte in der Community für jede Menge Aufregung, denn viele wollten nicht einsehen, dass sie dafür nun Geld bezahlen sollten. Dass die Modder jedoch jede Menge Zeit und Arbeit investiert hatten, um aus der Mod ein wirklich hochwertiges Spiel zu machen, war den Kritikern dabei offenbar ziemlich egal. Auch wollten viele nicht verstehen, dass Unknown Worlds den Moddern zwar als Publisher zur Seite stand, aber nicht selbst für die Entwicklung verantwortlich war oder gar daran verdienen wollte. Aber das ist ja ein bekanntes Phänomen, solange die Modder alles kostenlos anbieten, sind sie die Helden der Community, aber sobald sie sich erdreisten, für ihre harte Arbeit eine bescheidene Entlohnung zu fordern, sind sie der geldgierige Teufel in Person.
Doch zurück zu NS2 und Unknown Worlds, die sich dann aber doch ganz ihren neuen Projekten zuwandten und das Schicksal des Spiels schließlich in die Hände eines Teams aus bewährten Community-Mitgliedern legten, das sogenannte Community Dev Team. In dieser Phase kamen zwar ebenfalls einige beachtliche Updates, die uns unter anderem die vor allem optisch gelungenen Karten Kodiak und Derelict bescherten, bessere Tutorials einführten und viele technische Probleme in Angriff nahmen, aber der Negativtrend bei den Spielerzahlen war damit nicht mehr zu stoppen. Umso erstaunlicher ist es, dass vor gut einem halben Jahr doch wieder ein offizielles NS2-Devteam zusammengestellt wurde, das nur dafür bezahlt wird, sich um die Zukunft des alternden Shooters zu kümmern. Das Team mag zwar klein sein und nur einer davon wirklich in Vollzeit daran arbeiten, aber durch einen neuen Ansatz in der Entwicklung, haben sie die Spielergemeinde bereits ordentlich aufgerüttelt.
Statt weniger großer Updates bringen sie fast wöchentlich kleinere Patches, die dafür zum Teil große Änderungen und Experimente mit sich bringen. Das traf vor allem bei den Profis nicht nur auf Gegenliebe, aber ich denke, dass dieser Ansatz langfristig gesehen eher zu einer Wiederbelebung des Spiels beitragen könnte. Letztendlich ist das Problem vor allem, dass man neue Spieler nicht lange genug im Spiel halten konnte. Die recht steile Lernkurve und teils unfreundliche Veteranen haben viele Neulinge vertrieben, bevor sie die einzigartigen Qualitäten des Spiels richtig erkennen konnten. Inzwischen ist man bei Update 304 angekommen und ein Ende ist noch nicht in Sicht.
Viele werden nicht müde, nach einem NS3 zu rufen, aber wenn man bedenkt, dass es bis zur Veröffentlichung des zweiten Teils gut sechs Jahre gedauert hat und das Schicksal des Studios in dieser Zeit mehrmals auf Messers Schneide stand, erscheint das doch sehr unwahrscheinlich. Letztendlich ist ein Nachfolger aus meiner Sicht auch gar nicht nötig. Natural Selection 2 schaut nach wie vor großartig aus, die größten Probleme mit der hauseigenen Engine sind endlich gelöst und der Kern des Spiels ist so fasziniert wie eh und je. Egal, wie die Zukunft des Spiels aussieht, es wird immer einen Platz in meinem Herzen haben und ich werde immer mal wieder die Server unsicher machen.
2 Antworten auf „44 Monate und mehr als 700 Spielstunden: Natural Selection 2 Revisited“
Dafür das Multiplayer Shooter mittlerweile eine recht kurze „Haltbarkeit“ bei Spielern haben, bevor zum nächsten gesprungen wird, hat sich NS2 doch eigentlich lange gehalten.
Sicher, im Vergleich mit den meisten Indie-Onlinegames oder so manch gescheitertem Blockbuster (*hust* Evolve *hust*) hält es sich doch noch ganz gut, aber es hätte halt eigentlich eine viel größere Spielerschaft verdient.