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Review: Cryostasis

Zumindest hier in Berlin kann bisher von einem richtigen Winter nicht die Rede sein. Schnee lag nur für ein paar Tage und selbst die Temperaturen fallen selten unter Null. Vielen dürfte das sicher ganz recht sein, aber es gibt auch Menschen, die einen echten Winter zu schätzen wissen und für die ist Cryostasis genau richtig, denn kaum ein Spiel bringt eisige Kälte so gut rüber.

screenshot cryostasis action forms durchbruch

Im letzten Spiel der ukrainischen Entwickler Action Forms findet ihr euch im Bauch des alten atomgetriebenen Eisbrechers North Wind wieder, der im eisigen Nirgendwo der Arktis gestrandet ist. Wer ihr seid und wie es euch dorthin verschlagen hat, spielt aber zunächst keine Rolle, denn ihr habt nach eurem erwachen dringlichere Sorgen. Ein übler Schneesturm jagt unablässig frostige Schneeböen durch die zerfetzte Seitenwand des einst stolzen Schiffes und wenn ihr in diesem kalten Labyrinth aus Stahl und Eis nicht bald eine Wärmequelle findet, seid ihr verloren.

screenshot cryostasis action forms aufwärmen

In Cryostasis ist die Kälte nicht einfach nur schmückendes Beiwerk, sondern ein zentraler Bestandteil der Spielmechanik. Ein antiquiertes Messgerät in der linken unteren Bildschirmecke zeigt euch zu jeder Zeit eure eigene Temperatur und die eurer unmittelbaren Umgebung. Ist die Umgebung besonders kalt, dann sinkt auch eure Körpertemperatur entsprechend schnell und was das im schlimmsten Fall bedeutet, muss ich wohl nicht weiter erklären. Zum Glück finden sich auf eurer Odyssee durch die einsamen Gänge der North Wind aber immer wieder Lampen, Maschinen oder Rohre, die euch zumindest für den Moment vor dem drohenden Erfrieren bewahren.

screenshot cryostasis action forms maschinenraum

Die Körperwärme ist also eure Lebensenergie und die wird leider nicht nur von Schnee und Eis bedroht. Auf dem Eisbrecher begegnet ihr auch immer wieder Zombie-artigen Kameraden und merkwürdigen Kreaturen. Sind es die unglücklichen Geister der einstigen Besatzung oder hat die North Wind hier im endlosen Eis vielleicht eine unheilvolle Entdeckung gemacht? Das wird im Verlauf der rätselhaften Hintergrundgeschichte leider nie richtig geklärt, aber eines ist von Anfang an klar: man betrachtet euch als Eindringling, den es mit allen Mitteln zu stoppen gilt. Wenn ihr überleben wollt, müsst ihr also kämpfen. Zu Beginn noch mit bloßen Fäusten, dann mit einer Axt und später auch mit Signalpistole, Karabiner und Maschinengewehr. Die Temperatur spielt auch dabei eine Rolle, denn wenn ihr unterkühlt in den Kampf zieht, könnt ihr nur noch wenige Treffer einstecken. Da trifft es sich gut, dass ihr euch an den Wärmequellen immer wieder aufwärmen und somit auch erlittenen Schaden ganz einfach heilen könnt.

screenshot cryostasis action forms zellenblock

Obwohl ihr mit der Zeit immer öfter Gegnern und sogar Bossen begegnet, sind die Kämpfe nicht unbedingt die Stärke von Cryostasis. Das Handling der Schusswaffen ist etwas hakelig, das Trefferfeedback könnte besser sein und weder die KI noch das Leveldesign bieten viel Raum für Abwechslung oder gar anspruchsvolle Strategien. Das gleicht man jedoch mit der eisigen Atmosphäre und dem interessanten Setting wieder aus.

Zugegeben, der Weg durch den Eisbrecher könnte unmöglich noch linearer sein und ihr werdet nicht nur einmal das Gefühl haben, diesen oder jenen Raum schon mal gesehen zu haben (es ist eben ein schlichter Eisbrecher und kein Luxusliner), aber die North Wind hält auch so manches Highlight bereit. Ob vereiste Quartiere, überflutete Decks oder der Kern des Reaktors, auf einen eher unspektakulären Abschnitt folgt fast immer auch ein echter Hingucker.

screenshot cryostasis action forms überflutet

Auf eurem Weg durch die Decks stolpert ihr auch immer wieder über die Leichen der Crewmitglieder und müsst dann in kurzen Flashback-Sequenzen versuchen, ihnen zumindest für den Moment das Leben zu retten, um in der Gegenwart den Weg frei zu machen. Nach und nach erfahrt ihr so auch, wie es zu der Katastrophe kommen konnte und wie die Mannschaft verzweifelt versuchte, sie zu verhindern. Spielerisch fallen zwar auch diese Ausflüge sehr simpel aus, aber spannend ist es trotzdem, wenn ihr in einem altertümlichen Taucheranzug Lecks schließen müsst oder in einem kleinen Schlauchboot durch den überfluteten Bauch der North Wind schippert.

screenshot cryostasis action forms taucher

Cryostasis ist ein ungeschliffener Diamant, wie sie für die Ost-Block-Entwickler fast schon typisch sind. Viele interessante Ideen, die leider nicht immer ganz zu Ende gedacht wurden und eine Optik, die sich selbst nach fünf Jahren durchaus noch sehen lassen kann, aber auch mit Bugs und zum Teil miserabler Performance einhergeht. Letzteres liegt übrigens auch daran, dass es als einer der ersten Titel Nvidias PhysX nutzte, um eine möglichst realistische Wasserphysik zu präsentieren. Einen spielerischen Mehrwert hat das zwar kaum, aber es sieht einfach toll aus, wenn das Eis um euch herum schmilzt und langsam an den Wänden nach unten rutscht.

screenshot cryostasis action forms fahrstuhl

Wer sich für das kalte Setting erwärmen (BaDumTss!) und über so manche Gameplay-Schwäche hinwegsehen kann, der könnte mit Cryostasis aber dennoch ein paar interessante Stunden verbringen. Bei einem Preis von inzwischen gerade mal rund 5 € hält sich das Risiko auch in Grenzen.

Der nachfolgende Trailer fängt die Atmosphäre leider nicht so gut ein, aber ich werde in den nächsten Tagen noch ein eigenes Video hochladen.

Entwickler Action Forms | Publisher 1C Company | Release: Februar 2009
Genre: First-Person / Horror / Shooter / Action | Plattform: PC
Pad Support: nein | Spielzeit: 6-7h | Preis: ca. 5 € als Disc-Version bei Amazon

*Cryostasis ist kürzlich aus dem Steam-Store verschwunden, so dass interessierte Spieler am besten zur Retail-Fassung greifen sollten, die übrigens ganz ohne Steam läuft.

10 Antworten auf „Review: Cryostasis“

Da hast du aber tief in die Nostalgiekiste gegriffen!

Sind nicht, unabhängig vom Herkunftsland des Entwicklers, viele Ideen im Indiebereich super und die Umsetzung dann leider nicht ganz so perfekt? Meist aus guten Gründen, etwa dem Budget oder fehlender Zeit, ein Spiel bis ins letzte zu polieren. Oder?
Davon mal abgesehen versagt da Ubisoft als Großer aktuell auch mehr als kläglich….

Ich weiß nicht, ob man Cryostasis wirklich als Indie bezeichnen kann 😉 Wir haben auch schon irgendwann mal eine Diskussion über osteuropäsiche Entwickler und ihre (aus meiner Sicht auffällig oft) etwas unpolierten Titel geführt, aber so ganz einig sind wir uns da nicht geworden, glaube ich. Dass auch anderen und sogar großen Studios mal solche Fehler unterlaufen will ich da auch gar nicht abstreiten und bei denen fehlt es dann sogar noch an kreativen Ideen und nicht nur bei der Umsetzung.

Ach, dass bisschen Publisher macht die noch längst nicht unindie! 😉

Jaja, ich erinnerte mich auch direkt an deine früheren bösartig-rassistischen Bemerkungen…;-) Nee, aufgefallen ist mir das ebenfalls schon, auch was die Vertonung angeht. Ich glaube aber (immer noch, Herr Polygonien!), dass belgische, puerto-ricanische, bhutanische oder gar deutsche Entwickler im Großen und Ganzen nicht besser sind.

Ich meine das ja auch nicht böse, denn das macht ja auch oft ein wenig den Charme dieser Spiele aus. Für das oftmals deutlich kleinere Budget im Vergleich zu westlichen Studios können die ja auch nix. Hast du eigentlich Cryostasis damals schon gespielt, oder habe ich deinen ersten Kommentar nur falsch interpretiert?

Mir ist ein Spiel lieber, wenn es nicht völlig sauber poliert ist, dafür aber durch kreative Ideen glänzt – als ein Spiel welches zwar toll poliert ist, aber sonst nicht viel mitbringt. Ich kann über so Ecken und Kanten ganz gut hinwegsehen, wenn das Spiel sonst stimmt.

Ein gutes Beispiel ist da Deadly Premonition. Die Technik ist so grausig und überhaupt kann man sich fragen, ob da irgendwas am Ende aufpoliert wurde. Aber das Spiel ist trotzdem mehr als nur einen Blick wert. Die in dem Fall wirklich vielen Ecken und Kanten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Spiel ein tolles Grundgerüst hat. Auch wenn dieses sehr schwach auf der Brust ist.

Das Setting ist in der Tat interessant. Diesen Titel hatte ich auch schon mal vor Jahren auf dem zettel gehabt. Aber mir passte das damalige Preis-Leistungsverhältnis nicht so ganz glaube ich.
Sieht auf jeden Fall interessant aus und hätte Potential für ein Remake!

Action Forms gibt es aber allem Anschein nach nur noch auf dem Papier und das daraus entstandene Studio Tatem Games bechränkt sich derzeit (abgesehen von einer gescheiterten KS-Kampagne) auf Mobile-Games. Warten lohnt sich also vermutlich nicht und Cryostasis kostet ja auch nur noch nen 5er 😉

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