Natürlich gibt es geniale Klassiker wie Armee der Finsternis, aber für gewöhnlich gehören Horror und Comedy eher nicht zusammen. Bei Games gibt es die Kombi sogar noch deutlich seltener, aber gerade das ist vielleicht auch eine große Chance im recht überfüllten Horror-Genre. Mit My Friendly Neighborhood wagen die Brüder John und Evan Szymanski diesen Spagat und bekommen von mir die Silbermedaille.
*Dieser Beitrag wurde für die Betrachtung an einem Monitor und eine Auflösung von 1280*720 (oder höher, Mobile: quer/Landscape-Modus) optimiert.
Gordon ist Handwerker und bekommt kurz vor Feierabend noch einen Auftrag. Er soll zu den alten MFN-Studios fahren und die Sendeanlage überprüfen. Auf dem weitläufigen Gelände wurde einst die Kindersendung My Friendly Neighborhood gedreht. Eine Art Sesamstraße mit großen, bunten Puppen, die fröhlich vom ABC singen und die Kinder mit kleinen Geschichten dazu ermutigen, nett, verständnisvoll und hilfsbereit zu sein. Doch obwohl die Show schon vor vielen Jahren abgesetzt und das Studio dichtgemacht wurde, schickt die Antenne plötzlich wieder alte Folgen in den Äther und stört damit das Signal anderer Sendungen. Zunächst scheint alles verlassen zu sein, aber spätestens als ihn am Empfang eine Sockenpuppe abwimmeln will, ist Gordon klar, dass dies kein normaler Arbeitstag wird.

Survival-Horror-Nachbarschaft
Es mag nicht sehr offensichtlich sein, aber My Friendly Neighborhood ist im Kern absolut klassischer Survival Horror.
Hinter dem ungewöhnlichen Setting findet sich alles, was einst von Resident Evil und Co. als Grundpfeiler des Genres etabliert wurde. Man hat ein begrenztes Inventar, darf nur gegen „Bezahlung“ in Safe Rooms speichern, muss mit Ressourcen wie Munition oder Heilung haushalten und erforscht Stück für Stück unzählige Räumlichkeiten, die zum Teil erst durch diverse Schlüssel oder kleine Puzzle zugänglich werden. Das geschieht zwar alles aus der Ego-Perspektive und es trachten einem weder stöhnende Zombies noch blutrünstige Monster nach dem Leben, aber zumindest rein mechanisch hakt es so ziemlich jeden Punkt ab, den ich mir von diesem Genre wünsche.
Selbst die Kämpfe sind eigentlich nicht viel anders als bei den Klassikern mit fester Kamera. Trotz der Perspektive bleibt die Action meist eher etwas gemächlich und man muss nicht allzu genau zielen. Wenn möglich, ist es ohnehin sinnvoller, Kämpfe zu vermeiden, indem man die Beine in die Hand nimmt oder gleich eine andere Route wählt. Gleichzeitig bringt das Spiel gerade bei den Gegnern ein paar frische Ideen rein. Überall im Studio wandern die Figuren der Show umher, die, wie mir scheint, nicht etwa Menschen in Kostümen sind, sondern lebendig gewordene Puppen. Die sind zwar nicht das pure Böse, aber offenbar haben sie ihren Verstand verloren – soweit Puppen überhaupt welchen haben. Oft stehen sie apathisch in der Gegend herum und brabbeln lauthals verstörende Varianten ihrer Textzeilen aus der Show. Diese Voicelines sind aber nicht nur ein nützlicher Hinweis darauf, dass Gefahr droht, sie sind auch absolut großartig eingesprochen. Leider gibt es aber nicht genug Varianten davon, so dass man die gleichen Sprüche wieder und wieder hört.
ABC-Schütze und Tape-Twister
Erweckt Gordon die Aufmerksamkeit der freundlichen Nachbarn, laufen sie aufgeregt auf ihn zu, um ihn anschließend so fest zu knuddeln, dass ihm die Luft (dauerhaft) wegbleibt. Um das zu verhindern, zieht man ihnen entweder mit dem Schraubenschlüssel eins über oder erteilt ihnen mit Pistole und Schrotflinte eine Lehre. Letztere verschießen nämlich aus irgendeinem Grund große, metallene Buchstaben und werden passenderweise mit einem Rolodex bzw. einer Schreibmaschinenrolle geladen. Doch selbst wenn ihr das ganze ABC verballert, beim nächsten Besuch des Raumes sind sie wieder munter und bereit für die nächste Runde.





Beim Gedanken an respawnende Gegner mag manch einer genervt abwinken, aber es gibt einen Twist: Gordon kann die Puppets mit Klebeband fesseln und sie damit dauerhaft loswerden. Da es das aber nicht im Überfluss gibt, muss man sich gut überlegen, welche Gegner man aus dem Spiel nehmen will. Eine clevere Idee, wie ich finde, auch wenn sie leider nicht den Mangel an Waffen und Gegner-Varianten wettmachen kann.
Das Studiogelände besteht aus einer Vielzahl von Bereichen. Dazu gehören natürlich diverse Sets der Show und Aufnahmeräume, aber auch kleinere Außenbereiche, die Kanalisation und luxuriöse Bürokomplexe. Grundsätzlich lernt man die in linearer Reihenfolge kennen, aber man besucht allesamt mehrmals. Zum einen, weil man immer wieder neue Schlüssel-Objekte findet, die auch in bereits erforschten Gegenden neue Bereiche freischalten. Zum anderen, weil es doch auch eine Menge an optionalen Gegenständen (inkl. Cheats), Aufgaben und sogar Rätseln gibt, die ausgiebiges Erkunden belohnen und zu einem zweiten Durchgang einladen. Während manche Räume hinter den Kulissen und der Untergrund zumeist etwas fade wirken, können andere Orte mit einem tollen Art-Déco-Design punkten, bei dem ich mich etwas an Bioshock erinnert fühlte. Im Detail gibt es wenig, das grafisch wirklich herausragt, aber der generelle Look des Spiels fängt das Thema sehr gut ein und sorgt definitiv für Atmosphäre.

Die größte Schwäche des Spiels ist für mich die Story, denn es geht doch nie wirklich um mehr als das, was man am Anfang weiß. Gordon nimmt den ganzen Wahnsinn um ihn herum stoisch hin und will einfach nur den Job erledigen, damit er Feierabend machen kann. Warum das alles passiert, scheint weitestgehend egal zu sein. Auf dem langen Weg bis zur Antenne macht man zwar kurze Bekanntschaft mit einer handvoll Figuren und das ist zumeist auch charmant bis witzig inszeniert, aber es fehlt mir einfach an einem echten Bösewicht, interessanten Charakteren oder einem höheren Ziel. Wer gar auf eine Erklärung für die merkwürdigen Ereignisse hofft, wird erst recht enttäuscht sein.
Obwohl My Friendly Neighborhood in manchen Punkten definitiv noch etwas mehr Tiefe bzw. Feinschliff gut getan hätte, habe ich meinen rund 8-stündigen Besuch in dieser skurrilen Nachbarschaft wirklich genossen. Es ist nicht perfekt, aber das Survival-Horror-Gameplay ist einfach grundsolide und das Setting ebenso charmant wie unverbraucht.

- Nach dem Durchspielen laden u.a. ein Horde-Modus sowie zahlreiche Schwierigkeitsgrade und Cheats zu weiteren Runden ein.
- Genre-Kenner*innen, sollten besser gleich auf dem höheren Schwierigkeitsgrad starten. Normal wird sonst evtl. zum Spaziergang.
- Ich habe es auf der betagten Xbox One X gespielt und da läuft es einwandfrei. Auch meine Screenshots stammen aus dieser Version.
- MFN ist aktuell (04.08.25) auch im Game Pass enthalten

*Für dieses Review hat mir der Publisher DreadXP freundlicher Weise einen Review-Key zur Verfügung gestellt.