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Indie Retro Review / Test

Captain Blood – Die Xbox 360-Zeitkapsel

Es gibt Spiele, die wirken schon am Tag ihrer Veröffentlichung veraltet. Am auffälligsten ist das natürlich bei der Grafik, die vielleicht in Sachen Detailgrad und Beleuchtung nicht mit der aktuellen Konkurrenz mithalten kann. Manchmal sind es einfach Spielmechaniken, die nicht mehr zeitgemäß sind oder das Fehlen von Features, die längst zum Standard gehören. Und im Fall des kürzlich erschienenen Captain Blood liegt es einfach daran, dass es tatsächlich für die Xbox 360 hätte erscheinen sollen.

*Dieser Beitrag wurde für die Betrachtung an einem Monitor und eine Auflösung von 1280*720 (oder höher, Mobile: quer/Landscape-Modus) optimiert.

Auf zu neuen/alten Ufern

Obwohl Akella bzw. deren Spinoff-Studio SeaWolves die turbulente Entwicklung des Spiels im Jahr 2010 doch noch abgeschlossen hatte und sogar erste DVDs pressen ließ, kam Captain Blood nie auf den Markt. Über die Gründe könnt ihr weiter unten mehr erfahren, aber das wichtigste ist:
Dank des Nischen-Publishers SNEG hat dieses spielbare Artefakt nun doch noch einen Weg auf aktuelle Konsolen und den PC gefunden.

Ursprünglich als familienfreundliches Abenteuer-Spiel mit vollwertigen Seeschlachten und gemächlichen Degenkämpfen geplant, änderte man nach ein paar Jahren den Kurs in Richtung hemmungsloser Action. Zu jener Zeit avancierten die modernen 3D-Brawler durch Spiele wie Devil May Cry, God of War oder Spartan: Total Warrior zu einem neuen Blockbuster-Genre und dort will sich auch Captain Blood einreihen, nur eben mit zwei Jahrzehnten Verspätung.

Caribbean Conan

Die Handlung ist sogar noch schneller zusammengefasst als die der Vorbilder. Obwohl die Inspiration angeblich die Romane von Rafael Sabatini waren, hat der Charakter des namensgebenden Piraten in etwa die Tiefe einer Pfütze. Er ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich pubertierende Hardcore-Gamer™ in den 00er Jahren – und viele wohl auch heute noch – einen ebenso coolen wie harten Typen vorstellten. Er ist ein Muskelberg ohne einen Funken Charisma, argumentiert in erster Linie mit exzessiver Gewalt und ist immer auf den eigenen Vorteil bedacht. Als er gerade in der Hafenkneipe von Port Royale sitzt und die britische Kolonie von den Spaniern überfallen wird, sieht er endlich seine Chance auf Macht und Reichtümer gekommen. Die Tochter eines britischen Beamten wurde von Piraten entführt und obendrein könnte der Gouverneur etwas Hilfe im Kampf gegen die Spanier gebrauchen. Also reist der Freibeuter quer durch die Karibik, bringt die – natürlich mit absurd üppiger Oberweite ausgestattete – Lady zurück und massakriert im Alleingang den Großteil der spanischen Armee.

Punch, Hack & Slay, Punch, Hack & Sl…

Im Kern hat man in den ersten rund 30 Minuten Gameplay schon fast alles gemacht, was das Spiel in den folgenden 6-7 Stunden zu bieten hat. Captain Blood macht seinem Namen alle Ehre und schlitzt sich mit allerlei Klingen durch schier endlose Ströme von grimmigen Männern, die ihm ans Leder wollen. Darunter viel einfaches Kanonenfutter, aber auch immer ein paar Schwergewichte, die etwas länger bearbeitet werden wollen, ehe sie das Zeitliche segnen. Mit seinen Enthauptungen, Exekutions-Moves und so weiter ist das Spiel schon recht brutal, aber es fließt überraschend wenig Blut und verglichen mit manch berüchtigtem Titel ist es nicht allzu gory dargestellt.

Im Gemetzel greift man weitestgehend auf die Genre-üblichen Mittel zurück: Leichte und schwere Attacke, Ausweichrolle sowie zwei Fernkampf-Gadgets in Form einer Pistole und Granaten. Kurzzeitig kann man auch die Waffen besiegter Gegner nutzen und einige Objekte eignen sich als Wurfgeschosse.

Es gibt eine handvoll Combos, die ausgelöst werden, indem man beide Angriffsarten auf bestimmte Weisen aneinanderreiht und natürlich können die Gegner leichte Attacken auch blocken. Letzteres gilt ebenso für den Helden, aber in der Praxis macht man von der Block-Taste eigentlich fast nie Gebrauch, denn meist ist es sinnvoller, einfach per Hechtrolle zum nächsten Gegner zu wechseln. Nach ein paar Stunden, nachdem man die Combos und das Gegnerverhalten halbwegs verinnerlicht hat, tanzt man – ähnlich einem langhaarigen Schwarzenegger in einer grotesken Amateur-Version von Schwanensee– ganz gut durch die Meute und die Leute fliegen kreuz und quer durch den Level.

Zumindest dann, wenn einem nicht gerade wieder einer dieser verdammten Schützen den Spaß verdirbt. Die wenigen Fernkämpfer halten zwar eher wenig aus und haben mit ihren einfachen Musketen und Pistolen keine allzu hohe Feuerrate, aber dafür treffen sie von überall und bringen den Captain regelmäßig aus dem Tritt. Das stört den Flow im Kampf enorm und macht sie zu absoluten Nervensägen. Mit der Zeit lernt man, dass es die immer zuerst auszuschalten gilt, aber ein Ärgernis bleiben sie bis zum Ende.

Wenn man gerade mal nicht durch eine Hafenstadt oder ein Piratenversteck zieht und alles verdrischt, was nicht bei drei auf den Palmen ist, dann findet man sich entweder in einer Seeschlacht oder in einer Ingame-Cutscene wieder. Letztere sollen nicht nur die vielen kleinen Abschnitte miteinander verknüpfen und mehr oder weniger elegant zur nächsten Location überleiten, sie sind auch meistens voller Quick-Time-Events. Wenn der Captain also wieder seine B-Movie-Testosteron-Show abzieht, kann man sich kein Päuschen gönnen, sondern muss zackig die eingeblendeten Tasten hauen. Dank zumeist recht fairer Checkpoints und gnädiger Zeitlimits enden die Reaktionstests selten im Frust.

Deutlich anstrengender können da schon die Seeschlachten werden, denn hier hat man nicht nur die Gegner an Deck am Hals, sondern muss auch ständig den Projektilen ausweichen, die vom Himmel regnen. Dazwischen muss man dann noch die Zeit finden, um von Kanone zu Kanone zu rennen und auf die feindlichen Schiffe zu feuern. An sich eine nette Abwechslung zur Action an Land, aber auch hier fehlt es an Tiefgang und zuweilen kann es auch Nerven, wenn der Held alle paar Meter von irgendwas zu Boden geworfen wird.

Auch in technischer Hinsicht kann das Spiel natürlich nicht wirklich kaschieren, dass es in einer anderen Zeit entstanden ist. Dennoch finde ich, dass es durchaus kein unansehnliches Spiel ist. Die hohen Auflösungen der heutigen Zeit helfen zweifellos, aber auch im Vergleich mit mittelgroßen Produktionen jener Zeit ist es wahrlich kein hässliches Spiel. Man kann sicher über die Macho-Ästhetik streiten, aber der leichte Comic-Einschlag mit seinen übertriebenen Formen und der generelle Detailgrad der Figuren geben dem ganzen zwar einen klischeehaften, aber schon auch stimmigen, campy Piraten-Vibe.

Ja, das einzig Herausragende an Captain Blood ist tatsächlich die wendungsreiche Entstehungsgeschichte. Zu Zeiten von Xbox 360 und PS3 wäre es ein typischer 6-7 von 10 Titel gewesen, den man mal für schmales Geld mitgenommen und nach einem Wochenende recht schnell wieder vergessen hat. Und trotzdem kann ich nicht behaupten, dass ich mich mit der stupiden, vor Testosteron triefenden Piraten-Keilerei gelangweilt hätte. Wenn man es mit den Augen der späten 00er Jahre betrachtet und das Gehirn im Startbildschirm auf Autopilot stellt, kann man mit dieser cheesy, over-the-top B-Movie-Action schon auch Spaß haben. Vorausgesetzt, dass man sich an den üblichen Ecken und Kanten von klassischen Double-A-Produktionen nicht stört.

Plattform: PC, PS4 & PS5, Xbox One & Series, Switch
Release: 06. Mai 2025
Entwickler: Seawolf Studio, General Arcade
Publisher: SNEG
Genre: Action, 3D-Brawler
Preis: 24,99 €
Meine Spielzeit: ca. 7,5h
Steam Deck: verified

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Die Arbeiten an Captain Blood – nicht zu verwechseln mit dem 88er Amiga-Spiel – begannen 2003 beim russischen Studio Akella. Die waren zu jener Zeit mit ihrer historischen Freibeuter-Simulation Age of Sail recht erfolgreich und wollten mit Age of Pirates: Captain Blood direkt daran anknüpfen. Zu Beginn überwogen noch die Einflüsse der eher seriösen Hauptserie.

Mit den Jahren und diversen Personal-Wechseln warf man die Pläne jedoch immer wieder über den Haufen und ging zunehmend in Richtung Action. Je nach Zählweise durchlebte das Projekt von 2003 bis 2008 bis zu fünf fundamentale Umbrüche, die man anhand der teils sehr unterschiedlichen Trailer noch heute nachverfolgen kann. Im Jahr 2010 war es dann im Grunde fertig und angeblich wurden sogar erste Exemplare produziert und für den Handel vorbereitet.
Doch es kam erneut anders. Es gab rechtliche Streitigkeiten zwischen Akella, dem russischen Publisher 1C und dem holländischen Publisher Playlogic. So endete das Spiel und damit die jahrelange Arbeit von dutzenden Menschen für 15 Jahre in der Schwebe zwischen Totalverlust und Release. Erst 2024 konnte sich endlich das kleine Team von SNEG die Rechte sichern und das Projekt doch noch zu einem versöhnlichen Abschluss bringen. Auf Gamasutra findet ihr einen netten Artikel, der die verrückte Geschichte schon 2013 nachzeichnete und bei PC Gamer gibt es ein Interview mit einem der Retter, Oleg Klapovskiy.


*Für dieses Review hat mir der Publisher SNEG freundlicher Weise einen Review-Key zur Verfügung gestellt.

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