Mit Serien wie Descent und AquaNox konnten die 360°-Shooter in der Vergangenheit zwar erfolgreich den Weltraum verlassen, aber damit sind sie bis heute eher eine Ausnahme. Die überwältigende Mehrheit in diesem Nischen-Genre schickt euch lieber ins All. Und das kann ich als Fan von Space-Operas auch niemandem verdenken, aber mit seinem Schiff durch klaustrophobische Bunker-Systeme oder eine unheimliche Unterwasser-Höhle zu gleiten, finde ich nicht minder reizvoll.
*Dieser Beitrag wurde für die Betrachtung an einem Monitor und eine Auflösung von 1280*720 (oder höher, Mobile: quer/Landscape-Modus) optimiert.
Für Solo-Entwickler Chris ist der Reiz sogar so groß, dass er mit Liha kurzerhand seine eigene kleine Hommage an die Klassiker allgemein und Acclaims 1998er Forsaken im Speziellen bastelt. Er würzt das bewährte Action-Rezept aus Dauerfeuer und völliger Bewegungsfreiheit allerdings noch mit einer schmackhaften Prise Roguelite. Ein Release ist zwar noch nicht absehbar, aber es gibt auf Steam bereits eine vielversprechende Demo, die ich mir angeschaut habe.

In der Hoffnung auf wertvolle Beute hüpft man als sogenannter Scavenger in einen Gleiter und erforscht eine kalte, verlassene Bunkeranlage. Die wird vom Spiel bei jedem Besuch zufällig aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt und ist natürlich nicht ganz so verlassen, wie es zunächst scheint. In dem kargen Labyrinth aus Beton und Stahl warten bereits Schwärme von Drohnen darauf, jeden Eindringling zu vernichten. Und dann ist da noch diese merkwürdige, organische Masse, die in manchen Ecken wuchert und sich sogar einige der Drohnen einzuverleiben scheint.
Wer den Abstieg überlebt, kehrt mit Teilen und Ressourcen zurück, die man in die (temporäre) Verbesserung verschiedener Gleiter stecken kann. Was wiederum noch tiefere Regionen und noch mehr Loot in greifbare Nähe rücken soll.
Die Demo von Liha ist zwar nicht allzu umfangreich, aber man bekommt bereits einen guten Eindruck davon, was die finale Version mal abliefern soll. Der Core-Loop macht jedenfalls schon jetzt viel Spaß. Ohne lange Eingewöhnung düst man so elegant durch die Spielwelt, dass Han Solo mit seinem Falken wie ein Anfänger aussieht und das Konzept von oben und unten verliert jede Bedeutung. Sowohl dem eigenen Arsenal als auch den Gegnern fehlt es noch etwas an Varianten, aber es macht bereits große Freude, sich immer wieder der Umgebung anzupassen und sie nach Ausweichmanövern aus immer neuen Winkeln aufs Korn zu nehmen. Für einen Extra-Schub Adrenalin sorgen zudem die gelegentlich auftauchenden Scavenger-Konkurrenten, die gewissermaßen als Mini-Bosse fungieren. Untermalt wird die Action dabei von wummernden Techno-Beats.



Der Neo-Retro-Look von Liha mag zunächst eher zweckmäßig erscheinen, weckt aber zumindest bei mir wohlige Erinnerungen an Forsaken und Descent. Für die Zukunft sind u.a. mindestens drei verschiedene Welten bzw. Biome geplant. Außerdem weitere Waffen und natürlich unzählige Loot-Varianten, die uns immer tiefer in die Labyrinthe locken sollen.
Wenn euch das noch nicht zum Anspielen der Demo bringt, dann überzeugt euch hoffentlich das nachfolgende Interview, in dem Chris u.a. Details über die (lange) Entstehungsgeschichte teilt und verrät, ob sein Game Kombinat mit dem legendären Spieleentwicklungskombinat (SEK-ost) „verwandt“ ist.
Ich bin ja in der PSX und N64 Ära aufgewachsen. Diese Konsolen sind untrennbar in meiner Jugend verankert.
Chris / Game Kombinat
Interview mit Solo-Entwickler Chris (Game Kombinat)
Auf itch.io und deiner Website findet man bereits eine handvoll kleiner, interessanter Projekte, aber über dich selbst erfährt man nichts. Magst du uns verraten, wie du zur Spieleentwicklung gekommen bist und was dich heute, abgesehen von deinem Herzensprojekt Liha, so beschäftigt?
Ja, Hallo erstmal! Das ist eine kurze aber lange Geschichte, wie ich zum Spieleentwickeln gekommen bin. Das ging 1999 oder 2000 los. Damals gab es in der Bravo Screenfun* eine Extra CD mit dem Hammer Editor darauf, und einem gedruckten Tutorial um eine Map für Counter-Strike zu bauen. Das war der Tag an dem ich wusste, was ich tun will.
Dann kam eine wilde Reise vom Grafik- und Level Design zum Programmieren.
Alsbald war ich mit dem Minecraft Modding angefixt und irgendwann kam Unity und dann die eigenen Games.
Da du von Herzensprojekt sprichst. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass Liha ein Herzensprojekt ist.
An dem Game ist mir sehr viel gelegen. Aber es ist nicht das Einzige. Es gibt einige andere Projekte. Story Games. Horror Games. Sogar Cozy Games sind irgendwo in meinem Schreibtisch versteckt, die mir aus unterschiedlichen Gründen viel bedeuten. Liha ist allerdings ein Game in einem Genre und mit einem Scope, das realistisch für mich allein ist. Die anderen Games … nicht so sehr. Aber eines Tages werden sie sicher das Licht der Welt erblicken!
*Im Nachgespräch hat sich herausgestellt, dass es ein Sonderheft der Gamestar (Mods & Levels vom April 2002) war.
Dein „Studio“ hört auf den Namen Game Kombinat. Älteren Spiele-Fans fällt da vielleicht noch das Spieleentwicklungskombinat (SEK-ost) ein. Ist das Zufall oder gibt es tatsächlich irgendeine Art von (loser) Verbindung zu diesem Berliner Studio, das vor rund zwei Jahrzehnten Wiggles und ParaWorld entwickelt hat?
Ich habe keine Verbindungen zu den Menschen aus dem ehemaligen SEK, leider. Die Sache mit dem Kombinat ist im Grunde genommen zufällig. Aber vermutlich aus der selben Idee heraus entstanden. Ich komme ja aus dem Osten und wollte daher einen kleinen „sozialistischen Twist“ einbauen. Und da war es entweder der VEB oder das Kombinat. Ich fand den Begriff Kombinat einfach klangvoller und so kam das Eine zum Anderen.
Einige deiner vorherigen Projekte wie Hafermann oder The Gentleman’s Gold setzen auf einen tollen Retro-Look und wurden auch bei Haunted PS1-Events eingereicht. Hast du eine tiefere Bindung zur Generation von PS1, N64 & Co., oder magst du einfach nur den Look?
Also. Ich bin ja in der PSX und N64 Ära aufgewachsen. Diese Konsolen sind untrennbar in meiner Jugend verankert. Ich würde das vielleicht nicht als tiefe Verbindung betrachten. Aber es ist sowas wie eine Comfort Zone. Da bin ich gern. Und ich bin mittlerweile gut darin, Assets in diesem Stil abzuliefern. Aber ich muss dazu erwähnen, dass ich ausgerechnet für Hafermann und Gentlemans Gold nur bedingt zur Grafik beigetragen habe. Die Assets haben jeweils andere, wirklich enorm talentierte Artists erstellt.



Die Steam-Page zu Liha ging zwar erst im vergangenen August online, aber ich habe gesehen, dass es bereits 2020 einen ersten Prototypen gab, dem du damals den klangvollen Namen Spooky McShooty gegeben hast. Wieso hast du dich entschieden, nach so langer Zeit zu dieser Idee zurückzukehren und welche Schwierigkeiten bringt es vielleicht auch mit sich, so ein altes Projekt wiederzubeleben?
Das waren noch Zeiten. Spooky McShooty ist sogar immernoch der Arbeitstitel. Obwohl das Spooky Element mitlerweile gewichen ist. Nur „Atmospheric McShooty“ hat einfach nicht den selben Effekt.
Ich hatte eigentlich nie vor, dieses Projekt so lang auf Eis zu legen. Aber das Leben kam dazwischen. Und irgendwann hatte ich auch den Faden völlig verloren, wohin ich mit dem Projekt wollte.
Irgendwann im Frühling ’24 war es absehbar, dass das Startup in dem ich arbeitete, keine weitere Finanzierung bekommen würde und ich hab angefangen zu überlegen: Was könnte ich denn jetzt realistisch, allein und in einem akzeptablen Zeitrahmen fertig stellen bevor mir das Geld ausgeht?
Irgendwo hab ich mal den Spruch aufgeschnappt: Du kannst nur schreiben, was du gelesen hast. Die Richtigkeit dieser Aussage kann man freilich auf den Prüfstand stellen. Aber ich denke das grundsätzliche Prinzip ist klar.
Demnach dachte ich: Ein Shooty Game muss es sein.
Und für Spooky gab es schon einiges an fertigem Code und Assets. Und das war der Kern dieser Entscheidung. Auf dem Tisch lag noch ein Game im Sinne von Turok (dem ersten und zweiten Teil). Aber da hatte ich nichts auf Halde und die Entwicklungszeit wäre noch länger gewesen.
Für mich war es erst einmal nicht schwierig dieses Projekt wieder aufzunehmen. Ich hab ja auch damals schon den Code selbst geschrieben und die ganzen Systeme designed. Man vergisst vieles. Klar. Aber man erinnert sich auch recht schnell wieder an einiges.
Die Hürden kamen erst mit dem Ausbau des Konzepts.
Dungeons die prozedural nicht nur in die Breite, sondern auch in die Höhe wachsen können – es war ehrlicherweise gar nicht so einfach für mich, da reinzukommen. Aber es ist ja auch immer ein spannender Prozess, Neues zu lernen.
Trotz früherer Hits wie Descent oder Aquanox sind die (non-space) 360°-Shooter selbst für Indie-Verhältnisse ein absolutes Nischen-Genre. Was reizt dich daran und was sind deine Vorbilder?
Ich glaube der Reiz ist gerade, dass diese Games die Nische in der Nische sind.
Auf der anderen Seite scheint es so, dass es immer Menschen gibt, die sich sehr darüber zu freuen scheinen, wenn sie sehen, dass Liha „wie Descent“ aussieht. Ist die Nische also klein oder einfach nur unterbedient? Ich schätze, ich werde es im Detail herausfinden.
Meine erste Erfahrung mit dem 6 DOF Genre war Forsaken 64. Ich habe mit einem Freund zusammen vor der Glotze gesessen und wir haben den PVP Modus für Stunden gespielt.
Diese ganze Erfahrung war sehr prägend für mich. Good times. Und, na klar, das ist eine super spezifische Erfahrung.
Aber ich möchte gern erreichen, dass ich anderen mit Liha eine ähnliche Erfahrung bieten kann. Wie es im Moment aussieht, werden wohl einige Descent Veteranen Liha spielen. Klar. Und das freut mich auch. Umso mehr, wenn sie zufrieden wieder auftauchen. Aber eben auch ein neues Publikum für das 6 DOF Genre zu begeistern – das wäre richtig gut!

Gibt es Aspekte, die du von den Klassikern übernehmen möchtest und wo soll sich Liha vielleicht auch ganz bewusst abheben?
Es gibt offenbar einige ungeschriebene Gesetze, was das 6 DOF Genre betrifft.
Etwa ist es Pflicht, eine Auto-Rotate Funktion zu haben, mit der sich das Schiff von allein wieder aufrecht herum dreht. Und zusammen mit dieser Funktion ist es unablässig eine Option anzubieten, Auto-Rotate zu deaktivieren.
Natürlich darf dann auch nicht die Möglichkeit fehlen, die berühmte Barrel Roll durchzuführen.
Das sind alles klassische Elemente und die dürfen keinesfalls fehlen.
Abseits davon ist Liha aber ziemlich weit entfernt von den Klassikern.
Prozedurale Level, Meta Progression, Ausrüstung für Schiffe.
Natürlich ist das alles nicht neu. Andere Games haben das auf die ein oder andere Art längst im Kasten.
Aquanox: Deep Descent hat Schiffsausrüstung. Desecrators hat die prozeduralen Level. Und wie man hört wollen sie auch Schiffupgrades einbauen.
Der Punkt ist, dass sich, ob des mageren Outputs der Branche, das Genre weiter entwickelt und sich neue mechanische Kombinationen herauskristallisieren.
Liha ist Teil dieses Prozesses, dem Genre einen frischen Anstrich zu verpassen.
In der Games-Branche gab es zuletzt immer wieder Entlassungswellen und Schließungen großer Studios. Auch für Indie-Entwickler*innen wird der Kampf um Aufmerksamkeit und Publisher-Deals Jahr für Jahr schwieriger. Schaust du eher optimistisch oder mit Sorge auf die Zukunft der Indieszene?
Das ist schwierig zu beantworten.
Die Entlassungswellen, ich denke da sind wir uns alle einig, haben nichts mit einer schwächelnden Games Wirtschaft zu tun, sondern mit einer Bubble die im Begriff ist zu platzen.
Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Falsche Erwartungshaltungen der Investoren. Denn wir wissen ja: Numbers must go brrrrrrrrr.
Falsche Entscheidungen aus falschen Erwartungshaltungen heraus.
Anorganisches, künstlich aufgeblähtes Wachstum … Management-Versagen. Im Großen und Ganzen.
Dann haben wir die ganze Geschichte in der große Publisher versuchen Mobile Market Verhältnisse in non-Mobile Märkten zu schaffen.
Monetär nachvollziehbar, weil kalkulierbar. Gameable. Ich habe die letzten 3 Jahre im Mobile Segment verbracht. Da wird bis zur Kotzgrenze und darüber hinaus alles weg optimiert und runter rationalisiert was geht.
Gut. Also. Der Ausblick von diesem Standpunkt ist sehr sehr düster. Und die großen Jungs haben das Geld und die Hebel, um den Markt in die eine oder andere Richtung zu bewegen.
Oder vielleicht doch nicht?
Man kann ein verhaltenes Umdenken am Markt wahrnehmen. Wenn man gut zuhört.
Da werden Stimmen laut, die sich weniger gigantische, monetär durchoptimierte Games wünschen. Sondern ehrliche Titel. Ohne den mittlerweile üblichen Corporate Slop. Solche Stimmen hört man von vielen Seiten.
Spieler so wie auch Entwickler, die sich in diesen Hamsterrädern befinden.
Ich war selbst einer von denen und es raubt einem die Seele.
Und ich glaube, dass das erste Zeichen dafür sind, dass ein Wandel stattfinden kann und hoffentlich wird. Nicht zurück zu wie es früher war. Aber weg von dem, wo wir heute sind. Und darin liegt großes Potential, wie ich finde, es besser zu machen.
Wie sich das genau auf die kleinen Unternehmen und Solo-Devs auswirken wird, das wird die Zeit zeigen. Hoffentlich positiv.
Auf welche Indiegames freust du dich aktuell besonders?
Einige. Leider haben die Wenigsten davon Release Dates. Aber ich warte geduldig. Aber ganz vorn mit dabei sind auf jeden Fall KOOK, The Highland Ritual und, was aus einer ganz anderen Richtung, Children of Saturn. Die, da bin ich mir sicher, werden richtige Kracher werden.






Vielen Dank für diese Einblicke. Ich wünsche dir viel Energie für die weitere Entwicklung und einen erfolgreichen Launch, wenn die Ziellinie endlich erreicht ist.