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Indie Review / Test

You’re as cold as ice: Near Death im Test

screenshot near death orthogonal games outside powerDas noch recht junge Genre der Survival-Games boomt noch immer und Spiele wie ARK oder Rust belegen regelmäßig Spitzenplätze bei den Spielerzahlen, aber bei mir hat sich die anfängliche Euphorie ins Gegenteil verkehrt. Viele der Genre-Hits befinden sich zwar schon länger in meiner Library, wirklich gespielt habe ich aber nur wenige davon. Das liegt insbesondere daran, dass die meisten Spiele unter der Idee des Survival vor allem das ständige Abbauen von Ressourcen und den Bau einer Basis verstehen. Dabei muss man zwar auch immer die üblichen Anzeigen für die Bedürfnisse (Hunger, Durst etc.) der Spielfigur im Auge behalten, aber wie ein Kampf ums Überleben fühlt sich das nur selten an. Mit Near Death zeigt Orthogonal Games (The Novelist) aber, dass es auch anders geht.

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Eigentlich müsstet ihr euch freuen, dass ihr gerade eine Bruchlandung ohne größere Verletzungen überstanden habt, aber dafür bleibt keine Zeit, denn die improvisierte Landebahn ist nicht etwa ein alter Acker, sondern die bitterkalte Schneewüste der Antarktis. Trotz zweistelliger Minusgrade scheint jedoch noch nicht alle Hoffnung verloren, denn in der Ferne schälen sich die Signallichter der Sutro Forschungsstation aus dem dichten Schwarz der schier endlosen Polarnacht. Gerettet seid ihr damit allerdings noch lange nicht.

Nachdem ihr euch erschöpft in einen der Container geschleppt habt, müsst ihr feststellen, dass die Station ihre besten Tage längst hinter sich hat und ihr obendrein ganz auf euch allein gestellt seid. Wobei, ganz allein seid ihr dann doch nicht, denn per Fernschreiber könnt ihr wenigstens Kontakt zur Heimatbasis halten. Dort arbeitet man zwar bereits mit Hochdruck an einem Rettungsplan, aber der rückt schnell in weite Ferne als ein ausgewachsener Blizzard aufzieht. Ohne Proviant und mit stürmischen Aussichten bleibt euch also nichts anderes übrig als zu improvisieren.

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Near Death macht von der ersten Minute an klar, dass es ums nackte Überleben geht und obwohl das Setting im ersten Moment an John Carpenters Kultfilm The Thing erinnern mag, braucht es dafür weder Monster noch wilde Tiere. Der Entwickler verlässt sich stattdessen ganz auf seinen stummen Star, womit nicht etwa die Pilotin, sondern der unbändige Schneesturm gemeint ist und selbiger wird im Laufe des Spiels immer stärker. Schon bald könnt ihr selbst mit der Taschenlampe kaum noch die eigene Hand vor Augen sehen und als würde das nicht reichen, schubsen euch die peitschenden Winde auch noch wie einen Spielball hin und her. Selbst das Schließen von Türen wird zum regelmäßigen Kräftemessen mit der wilden Natur. So werden selbst die eigentlich kurzen Wege zwischen den einzelnen Teilen der Forschungsstation immer wieder zu waghalsigen Expeditionen, bei denen ihr dem wütenden Sturm jeden Meter mit aller Kraft abtrotzen müsst. Entsprechend groß ist die Erleichterung, wenn ihr fast blind vor Kälte doch noch die Lichter eines Gebäudes entdeckt und euch kurz vor dem Erfrieren ins Innere rettet. Momente, in denen nicht nur mein Alter-Ego, sondern auch ich selbst öfter mal tief durchatmen musste.

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Doch auch dafür bleibt nicht immer Zeit, denn meistens ist es mit der geschlossenen Tür noch nicht getan. Zahlreiche Fenster und zum Teil sogar ganze Wände konnten den ungezügelten Naturgewalten nämlich irgendwann nicht mehr standhalten und sind nun Einfallstore für die unerschöpflichen Schneemassen. Ihr müsst also entweder schnell nach einem intakten Raum suchen oder die geborstenen Fenster notdürftig mit einer Plane versiegeln. Erst dann könnt ihr euren kleinen Heizstrahler aufbauen und die müden Knochen wieder etwas auf Betriebstemperatur bringen.

Die Entscheidung will dabei wohl überlegt sein, denn natürlich braucht ihr entsprechende Materialien, um ein Fenster abzudichten und die sind in dieser Umgebung Mangelware. Ähnlich dem Mega-Hit The Last of Us könnt ihr Material, dass ihr für das Crafting sowie den Einsatz von Taschenlampe usw. benötigt, nicht einfach irgendwo farmen, sondern nur aus Kisten, Schränken und Co. zusammenklauben. Es ist daher auch nicht immer ratsam, schon auf Vorrat etwas zu basteln, weil ihr die Materialien später eventuell für etwas anderes dringender brauchen könntet. Andererseits lauft ihr dadurch aber auch Gefahr, im Ernstfall womöglich nicht schnell genug das richtige Item zur Hand zu haben, um euch vor dem Kältetod zu retten. Und wie viel Zeit euch tatsächlich noch bleibt, ist nie ganz klar, denn auf eine entsprechende Anzeige hat der Entwickler bewusst verzichtet.

screenshot near death orthogonal games broken window

Eure wertvollste Ressource ist ohne Frage das Kerosin, mit dem ihr unglücklicher Weise sowohl euren Heizstrahler am Laufen haltet als auch den Schweißbrenner befeuert. Letzterer bringt euch zwar kaum Wärme, ist im Notfall aber der einzige Weg, zugefrorene Türen zu öffnen. Ihr müsst das flüssige Gold also so sparsam wie möglich einsetzen und darum empfiehlt es sich, die Generatoren sowie die lokalen Schaltkästen wieder in Gang zu bringen und so zumindest ein paar Schutzräume zu schaffen. Das hat außerdem den Vorteil, dass in diesen Räumen der Schnee allmählich schmilzt und womöglich wertvolle Materialien preisgibt.

Near Death mag im Vergleich mit „echten“ Survival-Games simpel wirken und der eher lineare Aufbau ist vielen Genre-Fans sicher ein Dorn im Auge, aber für die ist es eigentlich auch nicht gemacht. Wie auch schon im 2012er Geheimtipp Miasmata sind die Survival-Mechaniken hier kein reiner Selbstzweck ohne echtes Ziel, vielmehr sollen sie euch der Protagonistin näherbringen, ihre Isolation und die Gefahr spürbar machen. Angefangen bei der zwar stimmungsvollen aber auch ein wenig unspektakulären Grafik sowie dem dezenten HUD über die clevere Erzählweise bis hin zu den überschaubaren Ausmaßen der Spielwelt ist alles auf das Wesentliche reduziert. Jede Mechanik, jeder Raum und selbst jeder Einsatz von Musik ist mit Bedacht und Sinn für das große Ganze gewählt worden und das merkt man zu jeder Zeit.

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Klar, mit 3 bis 4 Stunden fällt der Ausflug in die Antarktis nicht gerade lang aus, aber dafür ist es von der ersten bis zur letzten Minute an ein intensives, spannendes und ungewöhnliches Abenteuer, das die verlangten 15 € allemal wert ist. Außerdem kann man sich dank eines Updates inzwischen auch noch an extremeren Bedingungen versuchen. Die werden euch wirklich an eure Grenzen bringen und darum kann ich einen zweiten, schwereren Durchgang nur wärmstens empfehlen.

Entwickler: Orthogonal Games | Plattform: PC / Mac / Linux
Genre: Adventure / Exploration / Survival | Release: August 2016 | Website
Preis: 13,49 € via Humble oder 14,99 € via Steam

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